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588 Jiří Němec
Großen266. Seine Kollegen und er nahmen es hin, dass das Institut mit Unterstützung der
sowjetischen Militäradministration von Sozialisten und Kommunisten als Zentrum sozia-
listischer Wissenschaft in Wien aufgebaut wurde und dass transkribierte oder fotografierte
archivalische Materialen für Sammlungen der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften
bestimmt waren267.
Die Jahre nach 1945 bedeuteten für ehemalige Nationalsozialisten in Österreich ge-
mäß dem Verbotsgesetzt so genannte „Verbotsjahre“. Wie vorgeschrieben, wandte sich
auch Borodajkewycz Ende Juni 1946 an das zuständige Registrierungsamt und meldete
seine NSDAP-Mitgliedschaft der Jahre 1934–1943 sowie die Auszeichnung mit der Ost-
markmedaille. Da er 1943 nach dem oben angeführten Urteil des Kreisgerichts aus der
Partei ausgeschlossen worden war, versuchte er, seine vollständige Tilgung aus den Re-
gistrierungslisten zu erreichen. Die zuständige Kommission lehnte dies jedoch ab, weil
er seinerzeit selbst Beschwerde gegen den Parteiausschluss erhoben hatte. Im April 1948
verzeichnete man ihn sogar als belasteten Nationalsozialisten, da er nach einer Angabe
im Gauakt Angehöriger der SS und politischer Führer gewesen sein soll268. Seine Be-
schwerden dagegen wurden von der Beschwerdekommission des Innenministeriums als
gerechtfertigt angenommen, sodass er schließlich gemäß der „Minderbelastetenamnestie“
266 ÖStA KA, NL TB, Sig. 1521/187, Schreiben Borodajkewycz’ an Höttl vom 10.08.1947. Borodajkewycz
wollte aus diesen Materialen ein Buch verfassen. Am 04.12.1946 schrieb er an Srbik (Ebd. Sig. B1251/88) :
Ich habe jetzt zu den russischen Akten der Zeit Peters des Grossen auch die schwedischen und polnischen Bestände
genommen und schliesse die türkischen an, sodass ich zu einem ziemlich geschlossenen Bild der kaiserlichen Ostpo-
litik jener Zeit komme ; es sind sehr schöne Dinge darunter.
267 In der „Pressekonferenz“ auf dem Boden der Hochschule für Welthandel 1965 verriet Borodajkewycz in sei-
ner Antwort auf eine Frage der Presse nach seiner Zusammenarbeit mit den sowjetischen Besatzungsorganen
post 1945 : Ich habe nichts anderes zu tun gehabt, als die Akten anzusehen und eine kurze Inhaltsgabe des jeweili-
gen Akts, der im Haus-, Hof- und Staatsarchiv liegt, […] schriftlich niederzulegen und dem Institut zu übergeben.
Ein Teil dieser Arbeit ging nach Moskau an das Marx-Lenin-Institut und eine Zweite, eine Kopie ging nach Lenin-
grad […]. Richtig, ich habe es niemals als unehrenhaft empfunden mit der internationalen Wissenschaft zusam-
menzuarbeiten, auch wenn es damals die sowjetische war. Außerdem behauptete er, dass er einen mündlichen
Auftrag des kommunistischen Historikers Leo Stern, damals der führende Kopf im Institut für Wissenschaft
und Kunst, ablehnte, eine neue Interpretation der Geschichte Österreichs zu schreiben : Ich war bei Professor
Stern eingeladen und er hat mich aufgefordert, […] eine Geschichte Österreichs zu schreiben [,] die frei ist von
Habsburg und Deutschland […]. Da sagte ich : „Herr Kollege Stern, nach dem was Sie von meiner Vergangenheit
wissen, müßte ich mir ja selbst ins Gesicht spucken, wenn ich einem solchen Antrag stattgeben würde, abgesehen da-
von, daß ich erst ja Geschichte wieder frisch lernen müßte, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie man Geschichte
Österreichs schreiben soll ohne Deutschland und ohne Habsburg. ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/21, Abschrift
des Tonbandes vom 23.03.1965.
268 Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A 42 – NS – Registrierung : 1. Bezirk, 2862/ Taras Boroda-
jkewycz (geb.01.10.1902). Siehe allgemein : Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Öster-
reich 1945–1955. Symposium des Instituts für Wissenschaft und Kunst, hg. v. Sebastian Meissl, Klaus-
Dieter Mulley, Oliver RathkolB (Wien 1986).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625