Page - 78 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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verstand, wandelte er sich mit dem Austritt mehrerer Kleingruppen zur Partei der
„Allgemeinen Zionisten“.
Die „Gegenwarts-“ bzw. „Diaspora-Arbeit“ rückte nach dem Ersten Weltkrieg ins
Zentrum der Tätigkeiten der österreichischen Zionisten, die dadurch einen ungleich
höheren Teil der jüdischen Bevölkerung ansprechen und erreichen konnten als mit
dem Fokus auf die häufig wenig konkrete „Palästina-Arbeit“.194 Politisch zielten die
Wiener Zionisten auch in der Zwischenkriegszeit auf die „Eroberung“ der Majo-
rität innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde ab. Nachdem sie 1922 erstmals
in den Vorstand gelangt waren, sollte es noch ein ganzes Jahrzehnt dauern, bis sie
die Dominanz der liberalen „Österreichisch-Israelitischen Union“195 zurückdrängen
konnten und nach den Wahlen von 1932 durch ein Bündnis von „Allgemeinen
Zionisten“ und rechtszionistischen „Revisionisten“ die relative Mehrheitsposition
erreicht hatten. Die Anzahl der Schekelzahler unter den Wiener Jüdinnen und
Juden hatte sich von 2.200 im Jahr 1912 auf 10.000 im Jahr 1925 bis hin zu 16.000
im Jahr 1932 vergrößert.196 Der Erfolg der Zionisten bei den vorletzten Kultuswah-
len vor dem „Anschluss“ wurde allerdings durch die geringe Wahlbeteiligung (nur
zwei Fünftel der wahlberechtigten Steuerzahler hatten ihre Stimme abgegeben) und
die große Uneinigkeit sowohl unter der Wiener jüdischen Bevölkerung im Allge-
meinen als auch innerhalb des zionistischen Lagers relativiert. Zum Ausdruck kam
diese Zersplitterung nicht zuletzt durch mehrere institutionelle Veränderungen und
Abspaltungen, die die Vielzahl an zionistischen Parteien, Organisationen und Son-
derverbänden erklärt. Zur kontinuierlich bestehenden, mit unterschiedlicher Inten-
sität ausgefochtenen Kontroverse um die Stellung von „Gegenwarts-Arbeit“ und
„Palästina-Arbeit“ bzw. „politischen Zionisten“ und „Kulturzionisten“ kam in den
späten 1920er Jahren ein weiterer signifikanter Konflikt hinzu, der die Zionistinnen
und Zionisten auf nationaler und internationaler Ebene beschäftigte. Im Vorfeld
der 1929 erfolgten Etablierung der Jewish Agency kam unter anderem die Frage
auf, ob auch nicht-zionistische Gruppierungen in der offiziellen Repräsentanz der
jüdischen Gemeinschaft in Palästina vertreten sein sollten.197 Die Gegner einer sol-
chen Einbindung fanden sich in der Gruppe der „Radikalen Zionisten“ zusammen,
194 Siehe dazu Eleonore Lappin, Zwischen Tradition und Neubeginn. Die Beziehungen zwischen Ös-
terreich und dem jüdischen Palästina 1918 bis 1938. In: Das Jüdische Echo 47 (1998) S. 170–172.
195 1886 gegründet, erstrebte die „Österreichisch-Israelitische Union“ (bzw. ab 1918 „Union (deutsch-)
österreichischer Juden“), den Antisemitismus zu bekämpfen, die jüdische Identität zu stärken,
gleichzeitig sich aber vom jüdischen Nationalismus zu distanzieren. Ihre Mitglieder zeigten eine
starke Identifikation mit der Habsburgermonarchie. Während jegliche Form der zionistischen Lan-
despolitik abgelehnt wurde, wurde der Aufbau des jüdischen Palästina etwa in Form von Spen-
densammlungen unterstützt. Der Gruppe der „Orthodoxen“ gehörten in der Zwischenkriegszeit
ca. 20 Prozent der Wiener Jüdinnen und Juden an. An politischen Fragen nur zweitrangig inter-
essiert, blieben sie in der Kultusgemeinde stets eine kleine Minderheit. Vgl. Weinzierl, Judentum,
S. 40–42; Budischowsky, Jüdisch-politische Organisationen, S. 12–130, 356–398; Wistrich, Juden
Wiens, S. 257–283.
196 Eleonore Lappin, Von der Heimstätte zum Judenstaat: Der Aufbau des jüdischen Palästina in der
Wiener zionistischen Presse (1928–1938). In: Susanne Marten-Finnis/Markus Winkler (Hg.), Die
jüdische Presse im europäischen Kontext 1686–1990, Bremen 2006, S. 209.
197 Ausführlich wird der Konflikt bei Budischowsky, Jüdisch-politische Organisationen, S. 182–196,
nachgezeichnet.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918