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mit der gemäßigten „Hitachduth“ zur Arbeiterpartei „Mapai“210 zusammen. 1934
von den Austrofaschisten verboten, ging daraus die Nachfolgeorganisation „Binjan
Haarez“211 hervor, die sich weitgehend aus der österreichischen Politik zurückzog.
In einer ähnlich problematischen, vielleicht noch schwierigeren, aus einer ideo-
logischen Doppelzugehörigkeit resultierenden Situation befanden sich die Ange-
hörigen der zionistisch-orthodoxen Partei „Misrachi“. Das orthodoxe Judentum212
reagierte auf das Programm der zionistischen Bewegung mit zwei Grundhaltungen,
die sich einander konträr gegenüberstanden. Nach Ansicht der in der orthodoxen
Weltorganisation „Agudath Jisroel“213 organisierten Mehrheit war es strikt verbo-
ten, für die „Sammlung“ des jüdischen Volkes in „Erez Israel“ Eigeninitiative zu
ergreifen. Der Zionismus, der die „Erlösung“ aus eigener Kraft herbeiführen und
beschleunigen wollte, war deshalb entschieden abzulehnen. Gegensätzlich positi-
onierten sich die religiösen Zionisten, die ein Vorantreiben und ein Mitwirken an
der „Rückkehr“ des Volkes nach „Erez Israel“ befürworteten. Die Frage nach dem
Verhältnis von Zionismus und Orthodoxie stand von Beginn an im Zentrum der
internen Debatten, war aber auch ein Thema, mit dem der „Misrachi“ kontinuier-
lich von außen konfrontiert wurde, und führte dazu, dass seine Angehörigen in
beiden Weltorganisationen stets in der Minderheit blieben. Ebenfalls um 1900 in
Russland entstanden, breitete sich die Gruppierung auf zahlreiche andere Länder
aus und verfolgte gemäß des auf der ersten „Misrachi“-Konferenz verabschiedeten
Parteiprogramms unter anderem folgende Ziele:
„1. Der ‚Misrachi‘ ist eine Organisation gesetzestreuer Zionisten, die, auf
der Basis des Baseler Programms stehend, das Bestreben haben, für die
Regeneration des jüdischen Volkes im Geiste der Thora und der Tradition
zu schaffen und zu wirken. Der ‚Misrachi‘ sieht die Existenzbedingung des
jüdischen Volkes in der strengen Befolgung der Gebote und in der Beförde-
rung der Kolonisation Palästinas. 2. Der ‚Misrachi‘ verbleibt innerhalb der
Gesamtorganisation des Zionismus und vertritt seine Forderungen inner-
halb derselben, indem er nur für die aus religiösen und kulturellen Zielen
erwachsende Arbeit eine eigene Organisation schafft …“214
Insgesamt blieb der Einfluss der religiösen Zionisten und der linkszionistischen
Parteien in Österreich gering. Als es vor allem nach 1938 darum ging, ihren Mit-
gliedern zu Einwanderungsgenehmigungen für Palästina zu verhelfen, hatten sie
große Mühe, sich gegenüber den „Allgemeinen Zionisten“ und den „Revisionisten“,
die bis zum „Anschluss“ die Vormachtstellung innerhalb der Kultusgemeinde inne-
hatten, zu behaupten.
210 Kurz für: „Mifleget Poalei Eretz Israel“, hebr.: „Partei der Arbeiter des Landes Israel“.
211 Hebr.: Aufbau des Landes.
212 Die Bezeichnung „orthodoxes Judentum“ meint ein „thoratreues“, „gesetzestreues“ Judentum, das
sich strikt an die „Halacha“, die jüdischen Gesetzesvorschriften, hält.
213 Hebr.: Bund Israels.
214 Gaisbauer, Davidstern, S. 414–424, hier S. 421. Siehe auch Budischowsky, Jüdisch-politische Or-
ganisationen, S. 293–305.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Title
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Subtitle
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Author
- Victoria Kumar
- Publisher
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Size
- 15.6 x 23.4 cm
- Pages
- 216
- Keywords
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Categories
- Geschichte Nach 1918