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auf symbolischePolitik verschob, eineRolle spielten,dieGründungder ITFund
ihreenormeAufwertungbeiderHolocaust-Konferenz inStockholm imJahr 2000
läuteten jedenfalls eine Verlagerung von Fragen der Enteignung und geraubten
VermögenshinzuHolocaust-EducationundsymbolischenErinnerungsakten.25
DasinStockholmimJahr2000abgehaltene„InternationalForumontheHolo-
caust“wareinSchlüsselereignisfürdie ‚UniversalisierungdesHolocaust‘. (Allwork
2015) Erstmals nahmen hochrangige PolitikerInnen, PräsidentInnen und Re-
gierungschefInnen, renommierte WissenschaftlerInnen, Gedenkstättenmitar-
beiterInnenund ZeitzeugInnen aus 46 Ländern an einer Konferenz zumThema
Holocaust teil. (Eckel undMoisel 2008, 9) Als Ergebniswurde eineDeklaration
verabschiedet, inderzwarauchandereOpferdesNationalsozialismusals solche
anerkanntwurden, der Begriff ‚Holocaust‘ jedoch der Vernichtung der europäi-
schenJüdinnenundJudenvorbehaltenblieb.Darüberhinausverdeutlichtbereits
dasDatumderVeranstaltungdenhohenWert symbolischer Erinnerungspolitik:
DieKonferenzfandnichtnurindenerstenTagendesneuenJahrtausends,sondern
auch rundumden JahrestagderBefreiungvonAuschwitz statt.Die inStockholm
verabschiedeteDeklaration resultierte inderEmpfehlung, alleStaatensolltendie-
senTag,den27. Januar, oder einanderes, national bedeutsamesDatumalsHolo-
caust-Gedenktageinführen.
Aufwissenschaftlicher Ebene fand diese Entwicklung ihre Entsprechung ei-
nerseits inDeutschland in der Forderung nach einem ‚negativenGedächtnis‘ in
kritischer Auseinandersetzungmit den „politics of regret“ (Olick 2007) als leere
HülsevonGedenkritualen,andererseits inderThesevonder„Kosmopolitisierung
desHolocaust“,wiesie indemvielzitiertenWerkErinnerungen imglobalenZeital-
ter:DerHolocaustvonDanielLevyundNatanSznaideraus2001vertretenwurde.
In Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses führt Reinhart Koselleck
2002 (27)aus:„DieTäterschaftund ihreTatenmüssen indieErinnerungeinbezo-
genundnichtnurdieOpfer als solcheundallein erinnertwerden.“Charakteris-
tischfürdieseshistorischeErinnernseiVolkhardKniggezufolge,
dassSchuldundVerantwortungnichtmehrverleugnet,abgeschobenoderüberdecktwer-
den,sonderndasssiezuAnlässenkritischergesellschaftlicherSelbstreflexionundSelbst-
vergewisserung gemacht werden. […] Der Rückbezug auf die negative Vergangenheit
mussumfassendundkonkret sein,mussOpfer, Täterundgesellschaftlichewie individu-
elle Tatvoraussetzungen einschließen; er darf auch Ambivalenzen und Grauzonen, die
sich eindeutigenOpfer-Täter-Schematawidersetzen,nicht ausweichen. Zweitens schließt
kritischeSelbstreflexionPietät, die denOpfernalsOpferngilt, ein.HistorischesErinnern
als Akt der Pietät ernst genommen, steht gegen alle Formen der Funktionalisierung des
25 MaxCzollek(2020,33)bezeichnetdiesePolitikzugespitzt formuliertgarals„Gedächtnistheater“.
22 2 TheoretischeEinbettung
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918