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Erinnerns. Drittens darf Pietät aber nicht gegenWissen und geschichtswissenschaftlich
fundiertes Begreifenwollen, gegen Reflexion ausgespielt werden. Denn selbstkritisches
historischesErinnerngeht inoberflächlichermoralischerVerwerfungnichtauf.
(Knigge2008,157–159)
Diese ‚heiklen‘ Fragenwurden zunächst nur in Bezug auf NS-Deutschland ge-
stellt, imZugeder ‚EuropäisierungdesHolocaust‘dannaberauch inBezugauf
die Kollaborationsregime. ‚Europäisierung der Erinnerung‘ bedeutete bis zur
EU-Osterweiterung ‚Europäisierung der Holocaust-Erinnerung‘: Der Holocaust
wurdealsnegativerGründungsmythosEuropas(Judt2006)begriffen.26
2.2 UniversalisierungoderKosmopolitisierungdesHolocaust
Diese europäische Entwicklung lässt sich nur im Kontext der von den USA
ausgehenden ‚Universalisierung des Holocaust‘ begreifen bzw. dessen, was
die Soziologen Daniel Levy und Natan Sznaider zunächst positiv konnotiert
als„KosmopolitisierungdesHolocaust“bezeichneten.Diehiervorgenommenever-
schränkendePeriodisierungpolitischer undwissenschaftlicher Entwicklungen er-
laubtesuns,dasWerkvonLevyundSznaiderals ‚KindseinerZeit‘,derzudiesem
Zeitpunktnochkaumhinterfragten ‚UniversalisierungdesHolocaust‘, einzuord-
nen. Die beiden bewerten das „Zeitalter der Globalisierung“ optimistisch und
seheneinenWandelvonnationalenzukosmopolitischenErinnerungskulturen–
auch imSinneeiner„KampfansageandieversteinerteWissenschaft,dienicht im-
stande ist, sichvomNationalstaat zuverabschieden.“ (LevyundSznaider 2001,9)
DieErinnerungandenHolocaustmachedie„KatastropheEuropaszumAusgangs-
punkt neuer grenzüberschreitender Solidarität“, denn der Umgangmit dem
HolocaustöffnedasVerständnis fürneueErinnerungskulturen inder ‚Zweiten
Moderne‘. Die Erinnerung an denHolocaust werde in einer Epoche ideologi-
scherUngewissheiten zueinemMaßstab fürhumanistischeunduniversalisti-
sche Identifikationen. (Levy und Sznaider 2001, 10) Dadurch würden national
übergreifende Gedenkkulturen zur Grundlage für eine globaleMenschenrechts-
politik. (LevyundSznaider2001, 11)Paradoxerweise tragegeradedasUnvorstell-
bare desHolocaust zu seiner Entkontextualisierungbei,was LevyundSznaider
positivbewerten–alsModell fürGutundBöse,SchuldundUnschuld. (Levyund
Sznaider 2001, 150) Die so neu entstandene „Schicksalsgemeinschaft“ definiere
sich nicht mehr durch nationale Erfahrungen, sondern nehme den Holocaust
26 ZurKritik anderVorstellungeiner ‚StundeNull‘nach 1945, dieKontinuitätenausblendet,
sieheKaiser2015,369;Kaiser,KrankenhagenundPoehls2012, 138.
2.2 UniversalisierungoderKosmopolitisierungdesHolocaust 23
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918