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meln Erkenntnisse, die idealerweisemit den zu vermittelnden Inhalten überein-
stimmen. (Scholze 2004, 12) Im Ausstellen kreuzen sich Deutungsabsichten von
Ausstellenden,BedeutungendesAusgestelltenundBedeutungsvermutungenvon
BesucherInnen. (Muttenthaler undWonisch 2006, 59) Der Prozess des Ausstel-
lungsmachens bleibt den BesucherInnen verborgen, demResultat gehen Kämpfe
umDeutungshierarchienundKompromissevoraus,politischeEinflussnahmen,wis-
senschaftliche und künstlerische Abwägungen. Gruppen und Themen, die in der
Ausstellung verhandelt werden, erlangen Präsenz und Sichtbarkeit. Untersucht
wirdauchdas,was ichals ‚HierarchiederSichtbarkeit‘verschiedenerOpfergrup-
pen in der Ausstellung bezeichne – der Mehrheitsbevölkerung, der jüdischen
sowiederRoma-Opfer.
GedenkmuseenbefindensichimSpannungsfeldkonfligierendergesellschaftli-
cherMachtverhältnisseundDeutungsmuster.Sie sindOrte,andenen Identitätge-
schaffenundoffizielleGeschichtspolitikkanonisiert, andenendaszumjeweiligen
Zeitpunkt ihrer Schaffung dominante historischeNarrativ als Fundament der Ge-
genwartsichtbargemachtwird.SiekönnenaberauchdashegemonialeNarrativ in
Fragestellen.
In beiden Fällen ist die Entscheidung darüber, welche Objekte oder Bilder
manverwendet,wiemansieorganisiertundwelchenOrtmanfürdieAusstellung
wählt–einneuerrichtetesMuseumsgebäudeodereinenhistorischenVerbrechens-
ort – von politischen, ethischen und ästhetischen Fragen geleitet. Auch hier be-
steht ein Spannungsverhältnis zwischen demAnspruch einerseits, ‚authentische
Beweise‘zuliefernundandererseitsdemBemühen,einemotionales,dramatisches
Erlebnis fürdieBesucherInnenzukreieren. (Williams2007, 21) Stellvertretend für
andereUS-amerikanischeAutorInnenbefürwortenSpencerR. Crewund JamesE.
Sims eine Inszenierung und eine narrative Ausstellung, denn „the problemwith
things is that theyaredumb.Theyarenoteloquent,as somethinkers inartmuse-
umsclaim.Theyaredumb.Andifbysomeventriloquismtheyseemtospeak, they
lie.“ (Crew und Sims 1990, 159) Oder in denWorten des Direktors des USHMM
MichaelBerenbaum:„Artifacts, architectureanddesignare subservient to the tale
that isbeingtold.Theyare themidwifeof thestory.“ (Zit.n.Shenker2015,66)An-
dere, insbesonderedeutschsprachigeAutorInnenbetonenvorallemdie ‚Aura‘des
Objekts und kritisieren an narrativenMuseen, dass diese Geschichte immer nur
aus einerPerspektive erzählenkönnen–heutzutagemeist ausderdesOpfers. So
führtetwader langjährigeDirektorderGedenkstätteBuchenwaldaus:
Dokumentierend-argumentierende Ausstellungen, wie die in Buchenwald, sind nicht nach
einemvorgehendenNarrativ–wohlaberwissenschaftlichenErkenntnissen–geordnet, son-
dernverstehendieRealien–undhierzuzählenObjekteebensowieTextdokumenteoderhis-
torischeBilddokumente–alsAnstöße fürhistorischeVorstellungskraft,die ihrerseitswieder
Erinnerungs- und Deutungsleistungen auf den Plan rufen, die in Auseinandersetzungmit
34 2 TheoretischeEinbettung
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918