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4.1.3 Theresienstadt/Terezín
Auch die Erinnerung an Theresienstadt war nur mit vielen Kunstgriffen und
Auslassungenmit dengroßenErzählungender sozialistischenTschechoslowa-
kei vereinbar. In Terezín richtete die tschechoslowakische Regierung die erste
„Gedenkstätte desnationalenLeidens“bereits 1947 ein, als immernoch einige
Häftlinge im Internierungslager für Deutsche inhaftiert waren. Von 1947 bis
1949unterstand siedemtschechoslowakischen InnenministeriumundalleAn-
gestelltenwarenPolizistenbzw. Soldaten, alsoMitglieder desKorpsderNatio-
nalenSicherheit. (Hallama2015,81)FürdieEinrichtunghattensichbereits früh
OpferverbändeundVereinigungenderWiderstandskämpferInnensowiedie jüdi-
scheGemeinde eingesetzt. ImSeptember 1945wurdenbeim ‚Nationalbegräbnis‘
exhumierteLeichenunmittelbarvorderKleinenFestungaufdemnuneingerich-
teten ‚Nationalfriedhof‘ bestattet.46 Anlässlich der feierlichen Einrichtung sagte
Außenminister JanMasaryk, inTerezínhabediegesamteNationgemeinsamge-
litten, die Toten seien vereint gestorben „für unsere gerechte Sache“. Zwischen
denOpfernhabees„keinenUnterschied“gegeben.(Zit.n.Hallama2015,79)
Das vorrangige Zielwar die Erhaltungder KleinenFestung, die von 1940bis
1945 als Gestapo-Gefängnis gedient hatte. (Abb. 9) 1949wurde das „Museumder
Unterdrückung“ inderKleinenFestungeröffnet(Benz2013,234),1964derGedenk-
komplex in „Nationale Gedenkstätte Terezín“ umbenannt. (Heitlinger 2005, 136)
DasMilitärgeschichtlicheMuseum inPragkuratierte unter EinbeziehungdesVer-
bandsderFreiheitskämpferdie ersteDauerausstellungaus 1949. (Munk2008, 75)
Sie basierte auf einerAusstellung, die 1947 inderPragerGedenkstätte derBefrei-
unggezeigtwordenwar.WederdasJüdischeMuseuminPragnochVertreterInnen
der jüdischenGemeindenwurden in die Gestaltung der Ausstellung einbezogen.
(Hallama2015, 80)Sie thematisierte vordemHintergrundderdeutschenOkkupa-
tionder tschechischenLändervorallemdenWiderstandgegendiedeutscheHerr-
schaft (Benz2013, 234),diePlänezur„AusrottungderSlawen“ (Hallama2015,80)
undordnete Theresienstadt eher kursorisch in denKontext derKonzentrationsla-
gerein (Lunow2015, 351).47PerfektmitdemsozialistischenNarrativ (Frankl 2004;
Iggers2004)vereinbarwardieErinnerungandas1940inderKleinenFestungein-
46 DieserwurdezunächstvoneinereigenständigenInstitution,demimSommer1946gegrün-
deten Verein zur Erhaltung des Nationalfriedhofs, verwaltet, der 1949, also nach derMacht-
übernahme der Kommunistischen Partei 1948, jedoch in den Verband der Freiheitskämpfer
integriertwurde. (Hallama2015,79)
47 Die zweite ständigeAusstellung stammt aus 1954, die dritte aus 1962. Beide „wurdenden
politischenUmständendesKaltenKrieges sowie der kommunistischenAntifaschismusdefini-
tionangepasst.“ (Lunow2015,352) ImMittelpunktstandender internationaleantifaschistische
62 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918