Page - 64 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
Image of the Page - 64 -
Text of the Page - 64 -
AufdemGeländederGroßenFestung,wo1941dasheuteweltbekannteGhetto
Theresienstadt eingerichtet wordenwar, gab es jedoch, wie der spätere Direktor
JanMunk (1998, 6)dasausdrückte, aufgrunddesmehr schlecht als recht verhüll-
tenAntisemitismusderKPkeinMuseum:„Thesubjectof theJewishghettodidnot
fit into the ideological schemes of the time: it was difficult to show the complex
realityof theghettoasanexpressionof ‚classstruggle‘orasapartofCommunist
anti-Nazi resistance.“ (Munk 2001, 17f) Unmittelbar nach der Befreiung hatten
GhettoinsasseneinprovisorischesMahnmal amUferder Eger errichtet,wo 1944
dieAsche vonüber 20.000Opfern in den Fluss geworfenwordenwar. Ein höl-
zerner Davidsternmachte deutlich, dass dieMehrzahl der Opfer Jüdinnen und
Judenwaren. 1946 richtetederRatder jüdischenGemeinden inderTschechoslo-
wakei die „Subkommission für die Theresienstädter Denkmäler“ ein, die sich
fürdie teilweiseErhaltungdesehemaligenGhettos einsetzte. (Hallama2015,81)
Prominent platzierte Gedenk- und Informationstafeln waren geplant und auch
einGhettomuseumangedacht.Mancheder Pläne finden sich inministeriellen
Dokumentenund später in solchendesKreisnationalausschusses inÚstí nad
Laben,welcher 1949 die Zuständigkeit für die Gedenkstätte übernahm. Doch
nur die sehr frühen Initiativen konnten realisiertwerden. Aufgrundder Stim-
mung inderFestungsstadt, dievon„Egoismus,HabgierundRücksichtslosigkeit
gekennzeichnet“war, schlugenmancheVertreterInnender jüdischenGemeinde
vor,„aufGrunddieserStimmungvonsichausvonderErrichtungeinesMuseums
und anderer Denkmäler in der Stadt abzusehen. Anderewiederumbetonten,
dass– sollte sich die jüdische Gemeinde aus dieser Frage zurückziehen– in
einemzukünftigen lokalenMuseumdieFragedes jüdischenLeidens inThere-
sienstadt zweifellos keineodernur eineuntergeordneteRolle spielenwürde.“
(Hallama2015,83)
1952hatte es erste konkreterePläne für einGhetto-Museumgegeben, doch
immerwieder veränderte sich die politische Situation aufgrund vonWechseln
inderAußenpolitik inBezugauf IsraelundantisemitischenProzessenwiedem
Slánský-Prozess 1952. (Pelinka 2015, 79f) Ab den 1950er Jahrenwurde die Ge-
denkstätte, vor allem der Nationalfriedhof vor der Kleinen Festung, nicht nur
für eine ideologischeHeldenverehrung, sondernauch für politischeManifesta-
tionenverwendet, die garnicht imZusammenhangmit demZweitenWeltkrieg
standen: „die sozialistische Jugendhielt pompöse Treffen ab, die Jungpioniere
leistetenhier ihrGelöbnis.“ (Hallama2015, 95)DieKleineFestungwurdeEnde
der1950er Jahrevondurchschnittlich150.000Menschenjährlichbesucht.
Freilich geriet die 1949 dort eröffneteAusstellung zusehends inVerfall, Exponatewur-
denmarode, es gabkeinKonzeptüber die ein für allemal errichtetePräsentation eines
64 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918