Page - 86 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
Image of the Page - 86 -
Text of the Page - 86 -
individuelle Zeugnis derNachkriegsmassaker die vondemMithäftlingMarijan
Tršaram28. Juli 1945angefertigteZeichnungeinesverzweifeltenMannes inTe-
harje.DiedazugehörigeTotalitarismusausstellungarbeitethingegenetwasstärker
mit individualisierendenGeschichten,fünfwerdenkurzvorgestellt.Alssymbolisch
für das Projekt „Dark Side of theMoon“wird das Schicksal vonHildegardHahn
hervorgehoben,wasdeshalbüberrascht,weil es sichhierumeine jungeÖsterrei-
cherin,keineSloweninhandelte.Hahnwolltemit ihremFreund,demkommunis-
tischen Spanienkämpfer JosefMartin Presterl Slowenien besuchen, verließ 1947
Wien in Richtung Jugoslawien und ließ ihr zweijähriges Kind bei ihrer Mutter.
DasPaarwurdeverhaftetundzusammenmitweiterenÜberlebendendesKZsDa-
chau imRahmender sogenanntenDachauer Prozesse beschuldigt, Gestapospit-
zelzusein.HahnwurdewiePresterlwegenSpionagezumTodeverurteilt,was in
ihremFall jedochaufgrunddesDrucksausÖsterreichauf 20 JahreZwangsarbeit
geändertwurde.1953wurdesieausderHaftentlassen.
Jančars Ausstellung löste in Slowenien eine große Kontroverse aus. Renom-
mierteslowenischeHistorikerkritisiertenetwaSimonitisBehauptung,dietotalitäre
Ärahätte von 1941bis 1991 fortbestanden. ImGegenzugbezeichneteMuseumsdi-
rektor Jože Dežman, ein ehemals sozialistischer Historiker (Luthar und Luthar
2006, 138) undHüter der „revolutionären Überlieferung“ (Luthar und Radonić
2010, 348), der sich nach 1989 zumNationalistenwandelte und 2005 Leiter der
KommissionzurErforschungvonMassengräbernwurde,dieAusstellungalsMei-
lensteinundbezichtigtedreiderwichtigsten slowenischenHistoriker, JožePirje-
vecvondenUniversitätenKoperundPadua, sowieBožoRepeundDušanNećak
von der Universität Ljubljana, bloß „verkleidete Apparatschiks“ zu sein. (Troha
2017,350)
Der Ausstellungsraum zum Zweiten Weltkrieg hingegen nimmt zwischen
diesenbeidenPositioneneineneutraleRolleein,arbeitetmitZeitzeugenberich-
ten und auf Deutungenweitestgehend verzichtendenObjekten, Fotos undDo-
kumenten.63 (Abb. 13)AufdenBildschirmen inderRaummitte, die in stehende
Menschensilhouetteneingelassensind,malenZeitzeugInneneindifferenziertes
Bild des Krieges: Peter Kuhar erzählt von Kämpfen gegen die Deutschen und
63 LautAuskunft der heutigenMuseumsdirektorinKaja Širokwurde er imGegensatz zu den
anderenAusstellungsteilenseit 1996nichtverändert. IndenSchaukästenwerdendieKapitula-
tionderslowenischenArmee,dieOkkupationundZerschlagungderslowenischenGebiete,die
De-Nationalisierung, die Vertreibung von Slowenen, die Zwangsmobilisierung, das Leben
unter der Besatzung, die Slowenische Befreiungsfront, bewaffneterWiderstand, Geiseln, Ge-
fängnisse, Konzentrationslager, Weißgardisten, Domobranzen, alliierte Hilfe, Partisanen,
„Ljudska oblast / people’s authority“ sowie die Befreiung thematisiert. Ich danke Kaja Širok
fürdenAustauschüberdieVeränderungeninderAusstellung.
86 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Title
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Subtitle
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Author
- Ljiljana Radonić
- Publisher
- DE GRUYTER
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 338
- Keywords
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918