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Andrea Di Michele
um den Migranten den Zutritt zu verwehren. Nachdem Österreich 1995 der
Europäischen Gemeinschaft beigetreten war und es aufgrund des Schenge-
ner Abkommens drei Jahre später zum Abbau der Grenze gekommen war,
schien klar, dass die im Herzen Europas gelegene Grenze zwangsläufig zu-
nehmend an Bedeutung verlieren würde. Doch plötzlich schien das Rad der
Geschichte zurückgedreht und die geschichtsträchtige Brennergrenze erneut
an Wichtigkeit zu gewinnen. Nach Jahrzehnten ausgezeichneter bilateraler
Beziehungen führte das plötzliche Wiederaufflammen der Brenner-Thematik
vorübergehend zu heftigen Spannungen. Paradoxerweise wurde dadurch
jedoch auch wieder ein gewisses Interesse am Nachbarland geweckt. So be-
gann die italienische Presse sich endlich erneut mit Österreich zu beschäf-
tigen, mit dessen internen Dynamiken, der Orientierung seiner politischen
Kräfte und auch mit den Beziehungen zwischen den beiden Staaten.
Auch die Südtirolfrage wurde erneut zum Thema, als die österreichi-
sche Regierung überlegte, den deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern
die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren. Die daraus entstande-
nen Spannungen bewirkten, dass Italien seine Teilnahme am Außenminis-
tertreffen in Wien absagte und die von Österreich verkündete Initiative aufs
Schärfste verurteilte2. Auch über diesen Fall berichteten die Medien. Und so
zeigte sich wieder einmal in aller Deutlichkeit, dass das Interesse am anderen
Land eher an Einzelfälle gebunden ist und erst dann geweckt wird, wenn
sich eine bilaterale Krise verschärft und/oder wenn das eine Thema, welches
beide Staaten am meisten trennt und zugleich vereint, wieder salonfähig
wird: Südtirol.
Abgesehen von der öffentlichen Debatte stellt sich die Lage auch in
historiografischer Sicht ähnlich dar: Auch in diesem Fall sind ein Austausch
und ein beiderseitiges Interesse kaum vorhanden, während die Südtirolfrage
ein Dauerbrenner ist und seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute
übermäßig diskutiert wird. Im Bereich der Zeitgeschichte haben die italie-
nischen Historiker bisher nur marginales Interesse an Österreich an den Tag
gelegt, auch umgekehrt ist es nicht viel anders. Der Schwerpunkt liegt eher
auf ein paar wiederkehrenden Themen, die punktuell angeschnitten werden.
2 Die diplomatische offizielle Mitteilung vom 17. September 2018 ist auf der Webseite
des italienischen Außenministeriums verfügbar: https://www.esteri.it/mae/it/sala_stampa/
archivionotizie/comunicati/2018/09/austria.html.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Title
- Die schwierige Versöhnung
- Subtitle
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Authors
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Editor
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Publisher
- Bozen-Bolzano University Press
- Location
- Bozen
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Size
- 16.0 x 23.0 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Categories
- Geschichte Nach 1918