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Andrea Di Michele
se in Südtirol. Im Mittelpunkt der politisch-institutionellen Tätigkeit beider
stand stets das Interesse der eigenen Nation, wie auch aus ihren historischen
Analysen hervorgeht, in denen eine Interpretation der Geschichte vorgege-
ben wird, die die späteren wissenschaftlichen Studien und das verbreitete
historische Wissen beeinflusste. Das Agieren der beiden wird vor allem da-
durch verständlich, wenn man weiter zurückblickt und sich das Verhältnis
Toscanos zum faschistischen Regime einerseits und jenes Stadlmayers zum
Nationalsozialismus andererseits vor Augen führt: In beiden Fällen drang
nämlich der nationalistische Ansatz durch und ließ sich offenbar problemlos
sowohl in Italien als auch in Österreich von der Diktatur auf die Republik
übertragen25.
Ab der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre schien aber endlich eine
Lösung der Südtirolfrage in Sicht zu sein, und für Österreich hatte die An-
näherung an die EG oberste Priorität, wofür man die Unterstützung Italiens
benötigte. Dies führte allmählich zu einer Verbesserung der Beziehungen
zwischen beiden Nachbarländern, was sich auch positiv auf die Geschichts-
wissenschaft auswirkte. Im akademischen Bereich wurden zwei Tagungen
veranstaltet: Die erste fand 1971 in Innsbruck und die zweite ein Jahr später
in Venedig statt. In Rahmen dieser beiden Konferenzen tauschten sich His-
toriker beider Länder über gemeinsame Themen aus und arbeiteten daran,
Vorurteile zu hinterfragen und aus dem Weg zu räumen. Zahlreiche Vorträge
gab es auch zur Südtirolfrage. In Venedig ging die Diskussion sogar so weit,
dass man endlich den Mut aufbrachte und sich mit den heikelsten Themen
der letzten Jahre auseinandersetzte, die den Zeitraum von 1919 bis 1969, das
heißt vom Vertrag von Saint Germain bis zum Südtirol-Paket26, umfassten.
25 Zum engen Verhältnis Toscanos mit dem faschistischen Regime und zu dessen poli-
tischer Rolle bis zur Verabschiedung der Rassengesetze von 1938 siehe Monzali, Mario To-
scano. Zu Viktoria Stadlmayers Vergangenheit in den Jahren des Nationalsozialismus siehe
Rolf Steininger, Die Option. Zu Viktoria Stadlmayers „Auseinandersetzung mit neuerer Li-
teratur über die Geschichte der Südtiroler Umsiedlung“, in: Innsbrucker Historische Studien
14/15 (1994) 177 ff.; siehe auch Robert Gismann, Viktoria Stadlmayer – ein biographischer Ver-
such, in: Tirol im 20. Jahrhundert. Festschrift für Viktoria Stadlmayer zur Vollendung des 70.
Lebensjahres in Würdigung ihres Wirkens für das ganze Tirol, hrsg. von Franz Hieronymus
Riedl, Christoph Pan, Marian Cescutti, Robert Gismann (Bozen 1989) 11 ff.
26 Die Schriften beider Tagungen wurden zunächst auf Deutsch in Innsbruck – Venedig.
Österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972, hrsg. von Adam Wandruszka,
Ludwig Jedlicka (Wien 1975) und danach auf Italienisch in: Storia e politica 12/3 (1973) 327 ff.
und 13/1–2 (1974) 1 ff. veröffentlicht.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Title
- Die schwierige Versöhnung
- Subtitle
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Authors
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Editor
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Publisher
- Bozen-Bolzano University Press
- Location
- Bozen
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Size
- 16.0 x 23.0 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Categories
- Geschichte Nach 1918