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50 M. Gamper
1 Netzwerktheorie(n) und ein Einteilungsversuch
Bezüglich der Netzwerktheorie stellt Scott (2011, S. 24) fest: „[…] theore-
tical work has long been underdeveloped in social network analysis. While the
methods themselves do not require or imply any particular sociological theory,
they do require theoretical contextualisation in wider debates“. Auch wenn die
Theoretisierung von Netzwerken, im Vergleich zu quantitativ-empirischen Ver-
fahren, lange vernachlässigt wurde, gibt es schon seit dem frühen 20. Jahrhundert
intensive theoretische Auseinandersetzungen mit dem Konzept der sozialen
Beziehungen und ihren Strukturen. Allgemein geht man davon aus, dass Men-
schen in Beziehungen eingebettet sind und nicht losgelöst von ihren Netzwerken
betrachtet werden können. Diese einzelnen Dyaden, das sind Beziehungen zwi-
schen zwei Akteur*innen, verbinden sich wiederum zu größeren Einheiten,
sogenannten Netzwerken. Netzwerke sind hierbei auf der Meso-Ebene anzu-
siedeln. Sie sind damit ein Bindeglied zwischen der Mikro-Ebene, das indivi-
duelle Handeln, und der Makro-Ebene, den Institutionen (Weyer 2012, S. 241).
Netzwerke bestehen demnach aus Akteur*innen, die Beziehungen untereinander
eingehen und damit soziale Strukturen herstellen. Das theoretische Interesse liegt
nicht auf den klassischen Attributen von Individuen wie z. B. Geschlecht oder
Alter oder auf Merkmale der Institutionen, sondern auf den Beziehungen, deren
Strukturen, und der Einbettung der Akteur*innen innerhalb dieser Relationen. Sie
bilden den Ausgang der Forschungsfrage, während die genannten Attribute auch
mit in die Analyse einbezogen werden.
Hinsichtlich der Netzwerktheorie(n) kann zwischen „Grand Theory“ und
„Theorien der mittleren Reichweite“ unterschieden werden. Erstere umfasst ein
umfassendes Theoriegebäude mit einem universellen Erklärungsanspruch (Mills
1959), während die „Theorien mittlerer Reichweite“ zwischen Globaltheorien
und forschungsorientierten Arbeitstheorien angesiedelt sind. Dies sind Theorien,
die auch auf ein spezifisches Forschungsfeld beschränkt bleiben (Merton 1968).
Demnach kann man drei Theorieformen in der Netzwerkforschung idealtypisch
unterscheiden (Emirbayer 1997; Heidler und Gamper 2017). Als Erstes ist hier
der strukturalistische Determinismus zu nennen. Dieser Zweig zieht ausschließ-
lich relationale Merkmale für die Beschreibung von Handlungen der Akteur*in-
nen heran. Demnach ist die Handlung allein durch die Struktur der Netzwerke
und die Einbettung des Individuums in diesen Strukturen vordeterminiert. Der
strukturalistische Instrumentalismus betont die Handlungsoptionen des Indi-
viduums, die sich aus seiner Netzwerkposition ergeben. Diese werden von den
Akteure*innen instrumentell, im Sinne eines strukturellen Individualismus, zum
eigenen Vorteil (Homo oeconomicus) genutzt. Somit rückt hier stärker als im
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Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369