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72 A. Klärner und H. von der Lippe
worden. Groupthink beschreibt etwa Schulfreunde, die mit zunehmend
gemeinsam verbrachter Zeit zu dem geteilten Entschluss kommen, dass die Risi-
ken des Konsums illegaler Substanzen allgemein überbetont werden und man es
daher ruhig einmal ausprobieren könne. Falls vor dem Beginn des gemeinsamen
Cliquenkontaktes jeder der Beteiligten noch ganz andere Einschätzungen vertrat,
dann aber mit der Zeit den Gruppenkonsens übernahm, wäre dies ein Beispiel für
solche Integrationseffekte, welche wiederum gesundheitlich positiv oder negativ
ausfallen können.
2.3 Sozialer Einfluss (Lernen, Druck,
Vergleichsprozesse)
Sozialer Einfluss ist eine Sammelbezeichnung für schwer voneinander abgrenz-
bare Prozesse, in denen Akteure im Netzwerk mit ihren Handlungen, ihrer An-
oder Abwesenheit bewusst oder unbewusst aufeinander einwirken. Im Folgenden
wird auf das soziale Lernen und sozialen Druck (social pressure, auch: norm
enforcement oder injunctive norms) sowie social compliance (d. h. die individu-
elle Bereitschaft, sozialen Einflüssen zu entsprechen, auch: norm adherence) als
mögliche Netzwerkmechanismen eingegangen.
Ein wichtiger Mechanismus im Bereich sozialer Einflüsse ist zunächst der
des sozialen Lernens, d. h. der Prozess der Übernahme, des Austauschs oder der
gemeinsamen Bewertung von Informationen, beobachteten Handlungen etc. in
einem Netzwerk. Soziales Lernen ist ein Konzept, das in der Sozialpsychologie
fest etabliert ist (vgl. z. B. Miller und Dollard 1941; Bandura 1962) und kann
zum Beispiel darin bestehen, dass ein bestimmtes Gesundheitsverhalten (z. B.
Trampolinspringen, Fahrradfahren, Shisha und E-Zigarette rauchen etc.) von
anderen Netzwerkpartnern übernommen wird. Dabei geht man davon aus, dass
Individuen die Handlungen und das Verhalten von Anderen beobachten und aus
deren Erfahrungen lernen. Je öfter ein Gesundheitsverhalten im Netzwerk vor-
kommt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für das einzelne Individuum, diese
zu beobachten und selbst einmal auszuprobieren. Der Begriff der „deskriptiven
Norm“ bezeichnet das Ergebnis einer solchen Beobachtung: „Descriptive norms
are theorized to describe what most people do in a given situation“ (Guadagno
2017, S. 119). Burger und Shelton (2011) konnten beispielsweise in einer
Studie mit 2643 Einzelbeobachtungen der Treppen- vs. Aufzugnutzung US-
amerikanischer Studierender in einem dreigeschossigen Unigebäude zeigen,
dass das Aufstellen eines Schildes mit dem Hinweis auf die positiven Gesund-
heitseffekte des Treppensteigens die Nutzung des Aufzugs allenfalls schwach
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Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369