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77Wirkmechanismen
in sozialen Netzwerken
Eine Möglichkeit, soziale Ansteckung von den genannten Phänomenen der
sozialen Integration zu unterscheiden, besteht darin, sich auf die sozialpsycho-
logischen Konzepte emotionaler Ansteckung (emotional contagion) und der
Nachahmung (mimicking; imitation) zu beziehen (Hodges 2017; vgl. Ber-
nardi und Klärner 2014), wodurch deutlich wird, dass es hierbei nicht um die
Erleichterung oder Erschwerung von ohnehin intendiertem Verhalten geht.
Emotionale Ansteckung beschreibt vielmehr die Beobachtung, dass Individuen
spontan emotionale Stimmungen und damit verbundenes Verhalten (Lachen,
Weinen, Furcht, Freude, Aufregung etc.) von anderen Individuen oder Gruppen,
mit denen sie in Kontakt kommen, aufnehmen können (vgl. Lippitt et al. 1952;
Hatfield et al. 1994). Nachahmung bezeichnet die unbewusste oder unbemerkte
Übernahme von Einstellungen, Zielen oder Verhaltensweisen von anderen (vgl.
Aarts et al. 2004; Marsden und Friedkin 1993). Dieser Vorgang wird zwar häu-
fig als unbewusst, aber dennoch als selektiv beschrieben, was bedeutet, dass er
bestimmten Mustern folgt: Imitiert werden vermehrt andere Personen, die als ver-
lässlich wahrgenommen werden und die selbstähnlich (homophil) bzw. Teil einer
engen Clique sind (Hodges 2017). Dieser Mechanismus betont also, dass Ver-
halten in komplexen sozialen Umwelten wie sozialen Netzwerken auch unterhalb
der eigenen Wahrnehmungs- oder Bewusstseinsschwelle beeinflusst werden kann,
was in der Konsequenz die einigen soziologischen Handlungstheorien zugrunde
liegenden Rationalitätsannahmen menschlichen Verhaltens etwas relativiert.
Die Mechanismen emotionaler Ansteckung und Nachahmung werden in einen
Zusammenhang mit eher kurz anhaltenden und konkreten sozialen Situationen
gestellt (z. B. ein jubelndes Konzertpublikum etc.), aber es gibt Hinweise dar-
auf, dass sich auch länger währende emotionale Zustände wie Fröhlichkeit oder
Einsamkeit in sozialen Netzwerken verbreiten (Cacioppo et al. 2009; Fowler
und Christakis 2008; Hill et al. 2010). Martin und DiMatteo (2017) konstatie-
ren: „[…]The social influence of health-relevant behaviors often goes largely
unrecognized by the individual“ (S. 386). Sie illustrieren dies am Beispiel von
Forschungen zur Nahrungsaufnahme: Hetherington et al. (2006) hatten anhand
einer experimentellen Studien mit 37 Erwachsenen zeigen können, dass bei der
gemeinsamen Nahrungsaufnahme mit Fremden im Schnitt mehr Kalorien auf-
genommen werden als beim Alleinessen – wobei keiner der Befragten sich dieses
Effektes bewusst war. Salvy et al. (2009) zeigten anhand eines experimentellen
Designs mit 54 Erwachsenen, dass die gemeinsame körperliche Aktivität mit
Anderen geeignet sein kann, die Essensaufnahme zu ersetzen. Und Bleich et al.
(2012) fanden anhand einer repräsentativen Erhebung mit 500 US-Allgemein-
medizinern, dass bei gleicher Ausbildung und gleicher formaler Qualifikation
diejenigen Ärzte mit einem BMI im Normalbereich deutlich erfolgreicher
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Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369