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200 H. von der Lippe und O. Reis
werden sollen. Wir möchten an dieser Stelle einige zusätzliche entwicklungs- und
sozialpsychologische Theorien aus der Lebensspannenforschung heranziehen,
da diese geeignet sind, den Zusammenhang von Netzwerkentwicklung und bio-
grafischen Transition zu plausibilisieren.1
Zwei sozial- und entwicklungspsychologische Theorien der Lebensspanne,
die einen Zusammenhang von Transition und Beziehungsnetzen (und indirekt
auch mit seelischer Gesundheit) im jungen und mittleren Erwachsenenalter
beschreiben, sind einerseits die Theorie der Sozioemotionalen Selektivität (SST;
Carstensen et al. 1999) und andererseits die Konvoi-Theorie nach Kahn und
Antonucci (KT; Kahn und Antonucci 1980; Antonucci et al. 2011). Die Sozio-
emotionale Selektivitätstheorie geht von grundlegenden Entwicklungsaufgaben
(Havighurst 1976) des Individuums aus, die eine Blaupause für die Konstruk-
tion seiner sozialen Beziehungen abgeben. Entwicklungsaufgaben werden der
Theorie zufolge durch das Individuum in Abhängigkeit von der subjektiv wahr-
genommenen, verbleibenden Lebenszeit gewählt („selegiert“). Während zu
Beginn des Erwachsenenalters aufgrund einer subjektiv relativ „unbegrenzten“
Zukunftsperspektive vor allem Informationen gesammelt werden und Wirksam-
keitsziele im Vordergrund stehen (Yeung et al. 2008), werden mit abnehmender
subjektiver Lebenszeit Aufgaben der Emotionsregulation immer bedeutsamer.
Bindungsmotive stehen dann im Vordergrund. Damit einhergehend werden
der Theorie zufolge im jungen Erwachsenenalter tendenziell größere und loser
gestrickte Netzwerke konstruiert, während im mittleren Erwachsenenalter persön-
liche Beziehungsnetze vermehrt derart umgestaltet werden, dass die proximalen
(Familien-)Beziehungen intensiviert und distalere, z. B. kürzer bestehende und
weniger vertraute Beziehungen, aufgegeben oder reduziert werden.
1Hier sei noch einmal auf die Abgrenzung von „Netzwerkeffekten“ zur bekannten „Social-
Support-Forschung“ hingewiesen. Während der enge Zusammenhang von wahrgenommener
und geleisteter sozialer Unterstützung mit Gesundheit als allgemein bestätigt gelten kann
(siehe z. B. die klassischen Meta-Analysen von Schwarzer und Leppin 1989; Smith et al.
1994), wird in der Netzwerkanalyse eine detaillierte Betrachtung der Zusammensetzung und
Struktur von Beziehungsgesamtheiten verfolgt. In unsere Literaturrecherche wurden daher
nur solche Studien ausgewählt, die konkrete Beziehungen zwischen Individuum und Netz-
werkpartnern oder zumindest eine Gewichtung unterschiedlicher Netzwerksektoren (z. B.
Familien- vs. Freundeskreise) berichteten. Erst ab dieser Tiefe in der Darstellung werten wir
eine Studie als „Netzwerkstudie“ und beziehen sie in die Darstellung ein.
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Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369