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230 B. Müller und L. Ellwardt
einer zunehmenden Kumulation gesundheitlicher Risiken bei unteren Status-
gruppen (Tews 1993). Weiterhin wird die Divergenz darauf zurückgeführt, dass
im Falle eines schlechten Gesundheitszustandes Ressourcen (wie z. B. das Ein-
kommen), die kompensatorisch genutzt werden können, soziostrukturell unter-
schiedlich verfügbar seien (Mayer und Wagner 2010). Dieser Prozess werde bei
Kumulation materieller Ressourcen höherer Statusgruppen während des Lebens-
verlaufs (Cumulative-Advantage-Hypothesis) noch verstärkt (Lampert et al.
2017). Die gegenteilige Position vertritt die Konvergenzthese. Sie besagt, dass
sich die gesundheitliche Ungleichheit im Alter verringere. Zur Begründung die-
ser These werden vier Argumente angeführt. Erstens wird auf die Universalität
biologischer Alterungsprozesse verwiesen, durch die der Einfluss sozialer Fak-
toren auf Gesundheit und Lebenserwartung zunehmend in den Hintergrund trete
(Age-As-Leveler-Hypothesis) (Lampert et al. 2017; Mayer und Wagner 2010).
Zweitens könnten wohlfahrtsstaatliche Regelungen Unterschiede im sozioöko-
nomischen Status reduzieren bzw. dessen Einfluss auf die Gesundheit verringern
(von dem Knesebeck et al. 2003). Drittens wird die These damit begründet, dass
Belastungen des mittleren Lebensalters (z. B. als Folge der Berufstätigkeit), die
schichtspezifisch variieren und den Gesundheitszustand beeinflussen, im Ruhe-
stand an Bedeutung abnehmen (House et al. 1992). Viertens schließlich wird die
Konvergenztheorie mit sozial selektiver Mortalität begründet: Das Risiko, vor
Erreichen des Rentenalters zu versterben, ist in unteren Statusgruppen größer
als in höheren. Damit stellen die Überlebenden der unteren Statusgruppen eine
positive Selektion im Hinblick auf den Gesundheitszustand dar (Markides und
Machalek 1984; McMunn et al. 2008).
2.2 Theorien zu sozialen Netzwerken im Alter
Eine frühe soziologische Theorie zu sozialen Netzwerken im Alter ist die vom
Strukturfunktionalismus geprägte Disengagement-Theorie (Cumming und Henry
1961). Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass eine gute Anpassung an das Alter
über den Weg des „Disengagements“, verstanden als Rückzug älterer Menschen
aus sozialen Rollen und Beziehungen, zustande käme. Unterstellt wird eine funk-
tionale Komplementarität zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Wunsch
nach Rückzug entspräche dem Bedürfnis der Gesellschaft, ihr fortlaufendes Funk-
tionieren durch rechtzeitige Rollenübernahme zu gewährleisten. Der Prozess des
Disengagements sei weder auf einen schlechten Gesundheitszustand noch auf Ein-
kommenseinbußen im Alter zurückzuführen. Vielmehr setze er bereits bei Aufgabe
der Berufsrolle oder mit der Verwitwung ein. Lebenszufriedenheit werde dadurch
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Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369