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376 A. Kupfer und M. Gamper
Personen derselben Sozialschicht bildet der Migrationshintergrund einerseits einen
zusätzlichen Risikofaktor und bringt andererseits in bestimmten Bereichen günsti-
gere Gesundheitsaussichten mit sich, weshalb weitere erklärende Faktoren – wie
ein anderer kultureller Hintergrund, die gesundheitliche und soziale Lage im Her-
kunftsland oder spezielle Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem – Beachtung
finden müssen (Schenk 2007).
1.2.3 Healthy-Migrant-Effect – Theorie der positiven
Selektion
„Migranten sind oftmals gesünder, als es ihr niedriger sozioökonomischer Sta-
tus vermuten ließe – verglichen mit der Bevölkerung des Ziellandes der Migra-
tion“ (Razum et al. 2011, S. 568). Studien zufolge sind Einwanderer_innen bei
der Ankunft häufig psychisch gesünder als Einheimische5 (Kirkcaldy et al. 2006),
wobei die Gründe dafür noch nicht ausreichend erklärt sind (Knipper und Bilgin
2009). Möglicherweise finden sich unter den aus eigenem Antrieb Auswandernden
wohlhabendere, robustere und belastbarere Menschen, die körperlich und psychisch
widerstandsfähiger sind (Kirkcaldy et al. 2006; Schenk 2007; Knipper und Bil-
gin 2009). Auch der Wechsel in eine günstigere Lebensumgebung mit geringeren
psychopathologischen Risiken könnte entscheidend sein (Kirkcaldy et al. 2006).
Oder aber das junge Alter und damit niedrigere Risiken, z. B. für Herz-Kreis-
lauferkrankungen oder die häufigere Remigration im hohen Alter oder/und bei
Krankheit erklären den Healthy-Migrant-Effect (dann als statistisches Artefakt:
Migrant_innen sind nicht „gesünder“, sondern die Erkrankten werden aufgrund
demografischer und soziologischer Faktoren vergleichsweise schlechter erfasst)
(Knipper und Bilgin 2009; Razum et al. 2011).
Über den Zeitverlauf nehmen allerdings psychische Krankheiten wie bei-
spielsweise Depressionen zu und die Morbidität steigt. Diese Gesundheitsver-
schlechterung kann aus der Übernahme des ungünstigen Gesundheitsverhaltens
und nachteiligen Lebensstils der westlichen industrialisierten Welt bei gleich-
zeitiger Vernachlässigung von Ressourcen wie sozialen Netzwerken und kulturel-
len Traditionen resultieren (Kirkcaldy et al. 2006). Widersprechend dazu konstatiert
Stenzel (2016) einen anhaltenden Gesundheitsvorteil und den damit diskutierten
„salmon bias“, der besagt, dass kranke und alte Migrant_innen häufig in ihr Her-
kunftsland zurückkehren und dadurch die Morbiditäts- und Mortalitätskennziffern
der Migrant_innen verzerrt und auch nicht in Studienpopulationen erfasst werden.
5Ausnahme bilden hier Geflüchtete (s. o.).
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Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369