Page - 377 - in Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung
Image of the Page - 377 -
Text of the Page - 377 -
377Migration
als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? …
1.2.4 Migration als gesundheitlicher Übergang
Razum und Twardella (2002) erweitern das klassische Erklärungsmodell des
Healthy-Migrant-Effects um das Konzept des „gesundheitlichen Übergangs“
(Health Transition). Hier wird Migration aus einem ärmeren in ein wohl-
habenderes Land (entsprechend dem klassischen Muster der Arbeitsmigration)
als gesundheitlicher Übergang in hoher Geschwindigkeit betrachtet (Spallek und
Razum 2016) und der Wechsel von einer hohen Gesamtsterblichkeit (Infektions-
krankheiten, mütterliche und kindliche Ursachen) zu einer niedrigeren Sterblich-
keit vorwiegend an nichtübertragbaren Krankheiten bezeichnet (Razum 2009).
Durch die Verbesserungen der Wasser-, Luft- und Nahrungsqualität und der
medizinischen Versorgung wandelt sich auch die Mortalitäts- und Morbiditäts-
struktur in „modernen Gesellschaften“ (Stenzel 2016). Migrant_innen profitierten
dann von einer besseren Gesundheitsversorgung (die allerdings zugänglich sein
muss). Das Schwinden des signifikant niedrigeren Risikos für eine Brustkrebs-
erkrankung bei Frauen der ersten Generation in den folgenden Generationen von
Frauen mit türkischem Migrationshintergrund (Spallek und Razum 2016), die
Konvergenz der Rauchgewohnheiten über den Zeitverlauf (Zunahme des Tabak-
konsums unter Migrant_innen) sowie die Zunahme koronarer Herzerkrankungen
(durch die Übernahme eines westlichen Lebensstils) gelten als Belege für Health
Transitions (Razum und Twardella 2002; Stenzel 2016).
1.2.5 Lebenslaufansatz
Innerhalb des Lebensverlaufs eines Individuums und teils über Generationen
hinweg wirken biologische wie verhaltens- und psychosoziale Prozesse, die
die Ausprägung von Erkrankungs- und Mortalitätsrisiken beeinflussen (Spal-
lek und Razum 2016). Identifiziert und erklärt man selbige und untersucht den
gesamten Lebenslauf, gewinnt man nach Spallek und Razum (2016) auch neue
Erkenntnisse zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten und kann das Ent-
stehen bestimmter Gesundheitsrisiken besser verstehen. Beispielsweise kann das
soziale Umfeld auf den Schwangerschaftsverlauf (wie das Auftreten von Kom-
plikationen), das Geburtsergebnis und damit ggf. auf die spätere Gesundheit des
Kindes als Erwachsener (geringes Geburtsgewicht erhöht Risiko für Adipositas)
einwirken oder die eigene soziale Position und Gesundheit über die Zeit auf ver-
schiedenen Ebenen zusammenhängen (ebd.). „Angewendet auf die gesundheit-
liche Situation von Migranten bedeutet das: Die jeweilige individuelle und soziale
Situation führt zu einer Clusterung negativer und positiver Faktoren über die Zeit
und auf verschiedenen Ebenen. Zu welchem Zeitpunkt die Belastungen auftreten
und welche Bedeutung sie für die Entstehung von Krankheiten haben, hängt vom
jeweiligen Gesundheitsproblem und den kritischen Phasen für seine Ausprägung
ab“ (Spallek und Razum 2016, S. 256).
back to the
book Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung"
Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Title
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Subtitle
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Authors
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Editor
- Nico Vonneilich
- Publisher
- Springer VS
- Location
- Wiesbaden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Size
- 14.5 x 21.0 cm
- Pages
- 436
- Category
- Medien
Table of contents
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369