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II. Kriegsende in
Österreich88
Österreichs“ zusammenhingen. Die vordringlichsten Aufgaben der Roten Ar-
mee als Besatzungsmacht mussten umgehend geregelt werden, was natürlich
auch den Umgang mit der Zivilbevölkerung einschloss. Dabei erachtete die
zuständige 3. Europäische Abteilung des NKID die Herausgabe einer spezi-
ellen Verordnung durch das Staatliche Verteidigungskomitee (GKO) „als un-
bedingt notwendig“. Diese sollte das Verhalten der sowjetischen Truppen in
Österreich, die Aufgaben der Kommandos der 2. und 3. Ukrainischen Front,
den Aufbau einer Zivilverwaltung und die Ernennung von Bürgermeistern
regeln sowie die Veröffentlichung eines Aufrufs an das österreichische Volk
veranlassen. Weiters waren „Maßnahmen zur maximalen Nutzung der loka-
len Industrie- und Nahrungsmittelressourcen Österreichs“ zu definieren und
die Truppen aufzufordern, die Österreicher nicht mit den deutschen Okku-
panten zu verwechseln.92 Für die Soldaten kamen diese neuen Verhaltensre-
geln größtenteils unerwartet, weshalb sie – wie auch in Deutschland – viel-
fach auf Ablehnung stießen.93
1.3.1 Unterschied zwischen Österreichern und deutschen Besatzern
Am 2. April 1945, vier Tage, nachdem sowjetische Soldaten erstmals österrei-
chisches Territorium betreten hatten, erließ die Stavka des Oberkommandos
die entsprechende Direktive an die Oberbefehlshaber der Truppen der 2. und
3. Ukrainischen Front. Demnach hatten die Marschälle Rodion Ja. Malinovskij
und Fedor I. Tolbuchin ihrerseits Aufrufe an die österreichische Bevölkerung
zu richten, in denen die grundsätzlichen Aufgaben und Ziele der sowjeti-
schen Politik in Österreich erläutert werden sollten: Befreiung vom „faschis-
tischen Joch“, Wiederherstellung der Unabhängigkeit und eines normalen
politischen Lebens sowie Kampf der Roten Armee „gegen die deutschen
Besatzer und nicht gegen die Bevölkerung Österreichs“. Außerdem hatten
die Oberbefehlshaber das Verhalten ihrer Truppen zu regeln und dabei die
Weisung zu erteilen, „die Bevölkerung Österreichs nicht zu beleidigen, sich
korrekt zu verhalten und die Österreicher nicht mit den deutschen Besatzern
zu verwechseln“. Die Wortwahl der ersten Aufrufe an die Bevölkerung und
die sowjetischen Truppen in Österreich geht direkt auf Stalin zurück.94
92 AVP RF, F. 66, op. 23, p. 24, d. 8, S. 20f., Bericht der 3. Europäischen Abteilung des NKID „Über
Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Vormarsch der Roten Armee auf das Gebiet Österreichs“
[spätestens am 2.4.1945]. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in
Österreich, Dok. Nr. 6. Vgl. Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 42–44; Knoll –
Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich, S. 185f.
93 Senjavskaja, Psichologija vojny, S. 271.
94 CAMO, F. 148a, op. 3763, d. 212, S. 11f., Direktive der Stavka Nr. 11055 an die Oberbefehlshaber der
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918