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III. DER SOWJETISCHE BESATZUNGSAPPARAT:
STRUKTUR UND FUNKTION
Im Frühjahr 1945 überschwemmte eine Flut von „Sowjetmenschen“ Öster-
reich. Sie waren in den unterschiedlichen Einrichtungen des sowjetischen Be-
satzungsapparates erfasst: Militärangehörige, Diplomaten, Geheimdienstler,
Journalisten, Dolmetscher, Erdölspezialisten und – wenn der Rang stimmte
– deren Familienmitglieder. Sie alle hatten bestimmte Funktionen zu erfüllen
und waren einer streng hierarchischen Struktur untergeordnet. Sowjetische
Bürger außerhalb dieses Systems galten als unerwünscht und mussten – wie
etwa die befreiten „Ostarbeiter“ und Kriegsgefangenen – schnellstens in die
Heimat zurückkehren.
Für viele stellte der Einsatz in Österreich die beinahe einzigartige Mög-
lichkeit dar, über den Tellerrand des sowjetischen Imperiums hinauszusehen
und ein westliches Land kennenzulernen. Wenig überraschend überwachte
man ihre Arbeit von Moskau aus mit Argusaugen und ließ sie laufend poli-
tisch schulen. Der vergleichsweise große Luxus in diesem „kapitalistischen“
Land sollte nicht den Glauben an den Kommunismus ins Wanken bringen.
Ihre wichtigste Aufgabe bestand darin, der Sowjetunion zu dienen: durch
die Verwaltung des befreiten Österreich, die Beschaffung von Informationen
für Moskau oder den Abtransport von Beutegütern. Jeder Einzelne stellte ein
Rädchen im sowjetischen Besatzungsapparat in Österreich dar, der den zen-
tralen sowjetischen Verwaltungsorganen – und in letzter Instanz Stalin – un-
terstellt war.
1. Im Zentrum der Macht
Im totalitären Einparteienstaat der Sowjetunion lag die endgültige Entschei-
dungsgewalt bei der Kommunistischen Allunionspartei VKP(b) bzw. der
KPdSU1 und innerhalb der Partei bei ihrem Ersten Sekretär, Iosif V. Stalin.
Bis Anfang der 1950er Jahre beschloss das Politbüro alle geheimen und poli-
tischen Angelegenheiten der Staatsführung, d. h. Außenpolitik, Staatssicher-
heit und Verteidigung.2
1 Die VKP(b) wurde auf dem XIX. Parteitag Ende 1952 in „Kommunistische Partei der Sowjetunion“
(KPSS, auf Deutsch: KPdSU) umbenannt.
2 Vojtech Mastny, The Cold War and Soviet Insecurity: The Stalin Years. New York – Oxford 1998,
S. 173; Jurij N. Žukov, Bor’ba za vlast’ v rukovodstve SSSR v 1945–1952 godach, in: Voprosy Istorii
1/1995, S. 23–39, hier: S. 36; Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich, S. 13.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918