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III. Der sowjetische Besatzungsapparat: Struktur und
Funktion272
Armeeangehörigen einem „parasitären Lebensstil“, finanziert durch „dunkle
Machenschaften“, frönen.473
Von den ersten Tagen der Besatzung an konfiszierten die Sowjets Lebens-
mittel, Fahrzeuge, Waffen, Gebäude und alles, was das materielle Leben
Österreichs bieten konnte. Allein für die Versorgung der Truppen müssten
„Beutegüter und örtliche Möglichkeiten“ in großem Maßstab genützt wer-
den, hieß es lapidar in einem NKVD-Bericht.474
Abgesehen von Kraftfahrzeugen wurden auch Wohnungen, Häuser und
ganze Palais beschlagnahmt. In Wien dienten etwa das Hotel Imperial als
Hauptquartier des Militär- bzw. Hochkommissars und das gleichfalls am
Ring gelegene Palais Epstein als sowjetische Stadtkommandantur.475 Für das
Hauptquartier der Roten bzw. Sowjetischen Armee wurden in Baden ganze
Stadtteile durch dunkelgrün gestrichene Planken mit gemauerten Pfeilern
für zehn Jahre aus der Stadt herausgelöst: Das durch eine Planke abgetrenn-
te Kurhaus samt Trinkhalle (heute Spielkasino) diente als Offiziersmesse. Der
Kaiser-Franz-Ring war vom Theaterkiosk bis Ecke Spiegel- bzw. Welzergasse
beschlagnahmt. Außerdem war der gesamte Häuserblock vom Rollettmuseum
bis zum „Nicoladoni-Haus“ in der Schimmergasse abgegrenzt und wurde von
einem Wachturm aus kontrolliert. Dieses Areal diente dem NKVD/MVD als
Hauptquartier.476 Im Keller des genannten Hauses befand sich jenes Gefäng-
nis, in dem der sow jetische Geheimdienst verhaftete österreichische Zivilisten
oder auch sowjetische Militärangehörige festhielt. Für viele stellte dieser exter-
ritoriale sowjetische Mikrokosmos auf österreichischem Territorium die letzte
Etappe vor ihrem Abtransport in die Lager und Gefängnisse der UdSSR dar.477
Neben den zur Gänze beschlagnahmten Stadtteilen konfiszierte die sowje-
tische Besatzungsmacht noch einzelne öffentliche und private Badener Gebäu-
de, darunter zahlreiche Villen, das Schloss Braiten als Sitz der Ortskomman-
473 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 117, S. 199–201, Bericht von G. N. Moločkovskij an die Abteilung für
Propaganda und Agitation des ZK der VKP(b) über die Disziplin der sowjetischen Truppen in Ös-
terreich [spätestens am 11.12.1946]. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote
Armee in Österreich, Dok. Nr. 127.
474 RGVA, F. 32905, op. 1, d. 396, S. 63–66, Bericht des stv. Leiters der NKVD-Truppen zum Schutz des
Hinterlandes der Truppen der CGV, Oberst Sacharov, über die Tätigkeit der Wirtschaftsappara-
te der NKVD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der Steppenfront und 2. Ukrainischen Front
während des Krieges, 30.9.1945.
475 Siehe dazu auch das Kapitel A.III.3.3.1 „Reformen 1952“ in diesem Band.
476 Rudolf Maurer, Befreiung? – Befreiung! Baden 1945–1955. Katalogblätter des Rollettmuseums Ba-
den, Nr. 55. Baden 2005, S. 73–82.
477 Barbara Stelzl-Marx, Verschleppt und erschossen. Eine Einführung, in: Stefan Karner – Barbara
Stelzl-Marx (Hg.), Stalins letzte Opfer. Verschleppte und erschossene Österreicher in Moskau 1950–
1953. Unter Mitarbeit von Daniela Almer, Dieter Bacher und Harald Knoll. Wien – München 2009,
S. 21–78, hier: S. 39.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918