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III. Der sowjetische Besatzungsapparat: Struktur und
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die einquartiert Gewesenen verschleppt werden.“480 Häufig mussten inner-
halb kürzester Zeit einzelne Zimmer oder ganze Wohnungen geräumt und
den Besatzungssoldaten bzw. ihren Angehörigen zur Verfügung gestellt wer-
den. Die Wienerin Pauline Wind beschrieb dies in ihrem Haushaltsbuch von
1945 folgendermaßen: „Am 9. April um halb zwei früh drangen die Russen
in Wien in unser Haus ein. Wir haben vom 6. April 1945 an wie alle Hausbe-
wohner in unserem Keller gewohnt und genächtigt. Am 13. April 1945 fiel
die Stadt Wien und wurde von Russen besetzt. Ab 14. April bekamen wir in
unsere Wohnung 1 Moskauerin Frau Rosa und 1 Leutnant Frau Olga einquar-
tiert bis 17. Juni 1945. Ab 30. Juni 1945 bis 28. Juli 1945 [war] ein russischer
Major, Bacharchimov, von der Presse einquartiert.“481
Konnten Mobiliar und Einrichtungsgegenstände nicht rechtzeitig in Si-
cherheit gebracht werden, wurden sie in vielen Fällen beschädigt, zerstört
oder abtransportiert. Erzählungen von den „kulturlosen Russen“ kursierten,
die auf Biedermeiermöbel Schießübungen machten oder wertvolles Meiß-
ner Porzellan als Einweggeschirr verwendeten. Hausbesitzer nahmen daher
manchmal freiwillig Flüchtlinge oder durch Bombenangriffe obdachlos ge-
wordene Verwandte auf, um ihr Haus zu „füllen“ und dadurch sowjetische
Zwangseinquartierungen zu verhindern.482
Neben den illegalen privaten Plünderungen und den Konfiszierungen ver-
folgten die Sowjets eine staatlich verordnete Beutepolitik. Dies betraf auch
Kulturschätze, die gezielt ausgeforscht und in die Sowjetunion verbracht
wurden. Beispielsweise transportierte die Rote Armee im April 1945 min-
destens sechs Lastwagenladungen mit Kunstgegenständen, Möbeln und
Büchern aus dem Eisenstädter Schloss der Familie Esterházy im Burgenland
ab. Ein Teil der seltenen Bücher befindet sich heute in Moskauer Bibliothe-
ken. Auch nach der ersten Beutewelle zu Kriegsende waren die sowjetischen
Beutegut-Brigaden aktiv: Im August 1946 inspizierte etwa einer der höchsten
sowjetischen Restitutionsbeamten, Stepan Ledovskič, das Schloss Thürntal
in der Nähe von Grafenegg, das während der NS-Zeit enteignete jüdische
Sammlungen beherbergt hatte. Im Mai 1947 ließ Ledovskič 39 Gemälde –
angeblich „Deutsches Eigentum“ – in die Sowjetunion abtransportieren. Ihr
weiteres Schicksal ist ungeklärt. Denkbar ist, dass ein Teil der Gemälde un-
terwegs verloren ging, beschädigt oder völlig zerstört wurde. Doch fiel die
480 ÖStA/AdR, Abt. 2, Generaldirektion für Sicherheit, Monatsberichte, Sicherheitsdirektion für das
Burgenland, 2.9.1946, S. 3. Zit. nach: Stelzl-Marx, Freier und Befreier, S. 423f.
481 Sammlung Stelzl-Marx, Haushaltsbuch Pauline Wind.
482 Karin Pöpperl, Das Russlandbild in Weitra heute. Unter Berücksichtigung der Besatzungszeit
1945–1955 und der Propaganda der Kriegs- und Nachkriegszeit. Phil. DA. Wien 2003, S. 10; Maurer,
Befreiung? – Befreiung!, S. 73.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918