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Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg (1813–1858) – Eine
Lebensskizze20
allen – sitzungen des Parlaments teil und versuchte die übrigen österrei-
chischen Abgeordneten in seinem sinn zu beeinflussen, wenn er auch wenig
hoffnung darin sah, denn schließlich seien er und sein alter verbündeter
aus den tagen des vormärz, graf friedrich deym, „die einzigen gescheid-
ten“ unter den österreichern, „alle andern hat die tarantel gestochen,“ wie
er seiner schwester gabriele mitteilte.1
Am 9. märz nahm Andrian letztmals an einer Parlamentssitzung teil, am
tag darauf verließ er frankfurt ohne Absicht, dahin als Abgeordneter zu-
rückzukehren, und mit dem „gefühl, daß diese frankfurter episode in mei-
nem leben […] für mich auf immer zu ende geht.“2 Zunächst ging er für
zwei tage nach Berlin, um sich über die dortige lage zu informieren, und
dann nach Wien, wo er am 15. märz 1849 eintraf. mitglied der frankfurter
nationalversammlung blieb Andrian jedoch weiterhin, was sich auch darin
zeigt, dass er bis zur Auflösung, auch in den namentlichen Abstimmungen
des stuttgarter rumpfparlaments, unter den unentschuldigt fehlenden ver-
zeichnet wurde. selbst nachdem die regierung schwarzenberg am 5. April
erklärt hatte, die österreichischen Abgeordneten müssten umgehend ihre
mandate niederlegen und in die heimat zurückkehren, da ihre Aufgabe mit
der verabschiedung der verfassung beendet sei und die nationalversamm-
lung nunmehr den Boden von recht und gesetz verlassen habe, behielt And-
rian – anders als zahlreiche seiner kollegen – sein mandat, ohne dies jedoch
in die eine oder andere richtung öffentlich zu begründen. er hielt diese Auf-
forderung der österreichischen regierung schlicht für illegal. „ich behalte
mein mandat einstweilen in der tasche, aus der ich es wohl nie wieder her-
vorholen werde, jedoch will ich dadurch stillschweigend gegen die legalität
der Abberufung einsprache einlegen.“3
mit Andrians rückkehr nach Wien begann jene Phase in seinem leben,
die am stärksten geprägt war vom Widerspruch zwischen seinen eigenen An-
sprüchen und vorstellungen als Politiker und vordenker und den realitäten
des öffentlichen lebens der Zeit. die erste große enttäuschung und einen
vorgeschmack auf sein weiteres verhältnis zum kaiserlichen hof erlebte An-
drian, als er sich dem neuen kaiser franz Joseph in einer Audienz persön-
lich vorstellen wollte. er war dafür nach olmütz gereist, wurde jedoch nicht
vorgelassen und notierte am tag darauf in sein tagebuch, der grund dafür
wäre hauptsächlich „ein bitterer haß gegen die vermeintlichen Zerstörer des
1 Andrian an seine Schwester Gabriele, Frankfurt 22.12.1848; K. 114, Umschlag 662.
2 tagebuch Andrian, eintrag v. 5.3.1849.
3 ebda, eintrag v. 27.4.1849. die Angabe bei Best/Weege, Biographisches handbuch der Ab-
geordneten der frankfurter nationalversammlung, 82, Andrian sei mit 30.3.1849 ausge-
treten, ist auf grund der Angaben in den stenographischen Protokollen und im tagebuch
unschlüssig.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien