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Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg (1813–1858) – Eine
Lebensskizze32
familie, erben einer englischen textilfabrik, noch lange an diesem gedan-
ken der ehe festhielt, verabschiedete sich Andrian früh von dieser vorstel-
lung. „Wenn ich denke was diesem engel, der sein ganzes leben mir geopfert
hat, für ein herber schmerz bevorsteht, und zwar durch mich […] da möchte
ich mir den kopf abreißen vor Ärger, scham und schmerz,“ lautet der erste
erhaltene tagebucheintrag Andrians vom oktober 1839. formell aufgelöst
wurde die verlobung jedoch nicht durch ihn, sondern durch Augusta, die ihm
nach dem selbstmord ihres vaters 1841 die „freiheit zurück [gibt], indem
eine verbindung mit ihrem nunmehr stigmatisirten nahmen nicht mehr zu-
lässig wäre; die Arme! sie weiß nicht, daß ich jeden Gedanken an eine solche
schon längst aufgegeben habe und von aller leidenschaft vollkommen ge-
heilt bin, und nichts mehr als eine warme, innige Freundschaft für sie fühle;
ein mann hat nicht die Zeit, sein lebenlang einer zweck- und hoffnungslosen
passion nachzuhängen.“1 die beiden blieben jedoch weiter in kontakt, und
Andrian besuchte Augusta mehrmals in nordfrankreich, wo sie nach der
heirat mit einem cousin 1846 lebte, zuletzt im oktober 1856.
seine interessen in Bezug auf frauen waren jedoch weitgehend nicht auf
die ehe ausgerichtet, die für ihn wie bereits gesagt wenn überhaupt ein not-
wendiges übel zur erlangung eines gesicherten enkommens darstellte, son-
dern auf unterhaltung und Befriedigung seines Bedürfnisses nach einem
fluchtpunkt aus der öffentlichen männerwelt. dabei schätzte er aber auch
den Wert von einflussreichen frauen als vermittlerinnen sehr hoch ein. „so
lange wir keine Weiber für uns haben, wird es nie gut werden,“ schrieb er im
Juni 1847 bezüglich seiner politischen erfolgsaussichten.2 er schätzte die
„courmacherei“, das flirten mit meist adeligen damen, die sehr oft auch
verheiratet waren, und ging auch mehrfach längere Beziehungen ein, etwa
mit gräfin clotilde lottum in den frühen 1840er-Jahren oder gegen ende
seines lebens mit gabriele v. neuwall, der gattin eines Wiener großhänd-
lers. von seinen Partnerinnen erwartete Andrian vor allem Weltläufigkeit
und die fähigkeit, ihn auf hohem niveau zu unterhalten, wobei er diese
beiden Aspekte überwiegend bei Ausländerinnen fand, österreicherinnen
würde weitgehend „der elegante ton, das high breading“ fehlen.3 Auch be-
stand er darauf, in den Beziehungen der dominierende teil zu sein, von der
frau forderte er „ergebung.“ Wären diese Bedingungen erfüllt, dann konnte
er sich auch eine ehe auf emotionaler grundlage jenseits von materiellen
überlegungen vorstellen, wie er es in Beziehung zu gräfin clotilde lottum
formulierte: „Würde auch die liebe nicht ewig dauern, so würde sie mir doch
1 tagebuch Andrian, eintrag v. 25.6.1841.
2 ebda, eintrag v. 11.6.1847.
3 ebda, eintrag v. 19.4.1842.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien