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Oktober 1839
den Ausweg ergriffen, uns unter emilie Winkler’s Adresse zu schreiben, hat
sie eine Zeit lang fürchten gemacht, ich hätte sie vergessen, und ich weiß
es, daß eine solche überzeugung ihr das leben kosten würde. Jetzt wird sie
dieses nicht mehr glauben, das bin ich gewiß, und überhaupt werden wir
uns dießmal mit leichterem herzen trennen, weil wir Beide hoffen, uns in
nicht gar langer Zeit wieder zu sehen, welches auch meine schicksale sein
mögen.
inzwischen rückt die entscheidung desselben heran, ohne daß ich jetzt
auch nur Zeit habe, daran zu denken. vielleicht ist’s besser so. fürst met-
ternich kommt morgen oder übermorgen hieher, und da werde ich wohl
etwas erfahren.
[frankfurt] 23. oktober
fürst metternich kam gestern und ist heute nach tische weiter weg, nach
Wien, ich habe ihn heute endlich gesprochen, zum glücke hatte er Befehl
gegeben, alle, die zu ihm wollten, sogleich hineinzulassen, wo er dann wie
ein erzherzog die ronde machte, als ich eintrat, kam er gleich auf mich
zu, erkannte mich aber nicht gleich, wie ich mich nannte, erinnerte er sich
gleich meiner Angelegenheit, sagte mir, Bombelus1 hätte ihm von mir ge-
sprochen und er meinen Brief erhalten, er könne aber erst von Wien aus et-
was entscheiden, und ich sollte daher dort mich ihm wieder vorstellen. Auf
mein Begehren, indessen in der staatskanzlei verwendet zu werden, er-
wiederte er mir, daß [sic] sei nicht in der regel, indessen schlug er es nicht
geradezu ab und wiederholte mir, ich solle in Wien mich wieder zu ihm be-
geben. da er noch viele Andere abzufertigen hatte, so erinnerte ich ihn nur
in kurzen Worten, daß ich schon mehrere Jahre lang warte, empfahl mich
seiner gnade und ging. so ist denn für’s erste mein schicksal entschieden,
d.h. ich kehre nach Wien zurück und werde dort an dieser idee arbeiten, ob
ich darüber froh oder traurig bin, weiß ich selbst nicht, die entscheidung
wird dadurch hinausgeschoben, und die Crisis, in der ich mich jetzt befinde,
wieder verlängert, meinen kühnen, ehrgeizigen ideen muß ich indessen
entsagen, d.h. für den Augenblick, und in Wien werden mich wieder eine
menge kleinlicher Bande und rücksichten und miserabilitäten umstricken,
schon erfuhr ich heute durch einen Brief von flora, daß namentlich Wilczek
über mich aufgebracht sei, das ist doch eine elende situation!
ich werde also von hier nach Bayreuth gehen, wo mein onkel ferdinand
regierungs-Präsident ist, um einen langgehegten Wunsch zu erfüllen und
den Bruder und besten freund meines vaters kennen zu lernen, das war
schon vor 3–4 monaten meine Absicht gewesen, und ich hatte sie sowol
1 graf Bombelles.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien