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Oktober 1839
welches mir aber mit seinem innern, welches beinahe decidirt gothisch ist,
nicht übereinstimmend schien. dennoch hatte auch dieses innere in der
form und der lage seiner beiden einander gegenüberstehenden hochaltäre
etwas fremdartiges und erinnerte mich lebhaft an das innere des domes
zu Aquileja.
in der nähe von Bayreuth wird die gegend sehr lieblich und mahnte
mich stellenweise lebhaft an die schweiz, d.i. an den freundlichen theil
derselben, thurgau, Payenne, morton etc.1
Bald nach meiner Ankunft in Bayreuth, d.i. nachdem ich dinirt und toi-
lette gemacht hatte, ging ich meinen onkel ferdinand aufsuchen. da man
im schlosse, wo er wohnt, sagte, er würde noch im Bureau sein, so ging ich
dahin, und fand ihn in seinem Arbeitskabinet, er hatte eine énorme und
wahrhaft rührende freude, mich zu sehen, versicherte mich, er erwarte
mich schon seit monaten mit sehnsucht, etc. etc.
Wir sprachen lange und viel von ihm, von mir, von meinem vater, von
görz und unseren verwandten daselbst, die er Alle seit 40 Jahren nicht
mehr gesehen hat, und über deren schicksale er daher die detaillirtesten
Aufschlüsse begehrte. er nahm mich gleich bei allem Anfange äußerst
günstig für sich ein, obwohl schon ziemlich gebeugt, hat er doch in seinem
ganzen Wesen etwas unendlich Angenehmes, freundschaftliches und gut-
müthiges, dabei zugleich ganz das Äußere eines höchst gebildeten, interes-
santen und denkenden mannes und erinnerte mich zwar nicht in seinem
Äußeren, aber in seinen manieren sehr an meinen guten vater.
dann gingen wir zu ihm nach hause, wo er mich seiner familie vor-
stellte. diese besteht aus seiner schwiegermutter hailbronner, einer gegen
achtzigjährigen jetzt gerade bettlägerigen frau, welche aber noch immer
sehr distinguirt und geistreich zu sein scheint, aus seiner frau, einer char-
manten, excellenten und sehr amusanten frau von sehr gutem tone, aus
2 töchtern, Amalie, die mir sehr gut gefällt, d.h. ihre Art, welche sehr gut-
müthig und herzlich ist, von ihrem phisischen kann keine rede sein, da sie
einen klumpfuß hat und auch sonst nicht hübsch ist, und louise, welche
durchaus nicht hübsch und auch ziemlich unbedeutend zu sein scheint, we-
nigstens hat sie in diesen 2 tagen noch kein Wort gesprochen, endlich aus 3
söhnen, max, der schon seit vielen Jahren geistesschwach ist und ganz das
Aussehen eines cretins hat, emil, lieutenant beim hiesigen infanterieregi-
ment, ein exzellenter, fideler Mensch, der viel natürliche Anlagen und gute
manieren hat, und endlich Anton, Junker in einem infanterie
regimente zu
1 mit Payenne ist wohl Payerne im kanton Waadt gemeint, unklar ist, was Andrian mit mor-
ton meint. in frage kämen zwei städte nahe Payerne, moudon (etwa 25 km südlich) oder
murten im kanton freiburg (ca. 25 km nördlich).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien