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58 Tagebücher
empfinden, einem bei sich zu haben, und ihren Wunsch, ihren Gästen den
Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.
gestern waren wir alle in Passau, welches sie mir zeigen wollten, mir ge-
fiel besonders die Ilzstadt, welche hinter den Bergen versteckt, einem, wie
man durch das felsenthor kömmt, wie durch Zauberei so plötzlich entgegen
tritt.
ich erwarte hier Briefe von gabrielle, der ich von Bayreuth aus schrieb,
und welche meine Abreise nach Wien bestimmen werden, indem ich sie vor
ihrer Abfahrt nach italien wo möglich noch sehen möchte,1 diese sollte ih-
rem letzten Briefe zufolge gegen den 15. erfolgen, scheint aber, da ich noch
nichts von ihr hörte, verschoben worden zu sein.
um meine familie in Wien durch meinen entschluß nicht zu überra-
schen, habe ich dieser tage an tante hadik geschrieben, soviel mir davon
mitzutheilen für gut dünkte, daß ich nämlich auf des fürsten metternich
Aufforderung nach Wien käme und dort seiner entscheidung harren werde
etc. etc.
Auch an Auguste schrieb ich von hier, da ich bereits in Bayreuth von ihr
einen aus rotterdam datirten Brief erhalten hatte.
[neuhaus am inn] 16. november
ich war diese vergangenen 2 tage auf der Jagd bei tauffkirchen in klee-
berg, wo ich einen theil des hiesigen baierischen Adels kennen lernte, der
general tauffkirchen ist ein alter comödiant, bekannt durch seine outrirte
opposition in und außer der kammer, ein mann von vielem verstande, der
sehr gut und gerne spricht, äußerst liberale Gesinnungen affichirt, dabei
aber seine Bauern schindet. gestern an seinem namenstage war nach der
Jagd großes dinner, wo graf Paumgarten, ein sehr distinguirter mensch
voll Witz und Verstand, der mir außerordentlich gefiel, ihm in scherzhaf-
ter verkleidung ein im kuchellatein abgefaßtes diplom als mitglied der
landwirthschaftsgesellschaft und eine bleierne medaille überreichte. Wei-
ter waren dort fürst cantakuzeno,a schwiegersohn des grafen Auersperg,2
graf Arco valley etc. etc.
morgen nachmittag fahre ich mit eduard nach st. martin in österreich,
der herrschaft des grafen Arco valley, dort werde ich 1 oder 2 tage ja-
gen und dann von dort gleich weiter nach Wien gehen, es wird mir anthun,
1 Andrians schwester gabriele kam als hofdame an den hof von erzherzog rainer, vizekö-
nig von lombardo-venetien, und dessen gattin elisabeth.
a nachträglich mit Bleistift eingefügt.
2 Prinz Alexander cantacuzene (kantakuzenos) war mit einer tochter des ehemaligen bay-
erischen ministers und griechischen staatskanzlers graf Josef ludwig v. Armansperg ver-
heiratet, nicht mit einer Gräfin Auersperg.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien