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Dezember 1839
derweitige Bestimmung auch nur von ihm ausgehen, und ich gênire mich,
ihn gar in einem fort zu belästigen, 2. gleich von hier aus eine solche trans-
ferirung zu bewirken, wogegen aber das nämliche Bedenken obwaltet, und
was nebstdem schwierig sein und lange dauern würde, endlich 3. ganz zu
quittiren und in der Welt mein glück zu suchen, d.i. entweder meine lang-
gehegten schriftstellerischen ideen zu verwirklichen oder in die dienste
einer fremden macht zu treten etc. meine neigung, meine decidirte bren-
nende neigung streitet für den letzteren, mein unglücklicher rest von Bon
sens für die beiden ersteren dieser Auswege. Was aber geschehen wird weiß
ich nicht, nur gott allein.
[Wien] 15. dezember
mein schicksal ist nun, d.h. für den Augenblick entschieden, und mein ent-
schluß obwol mit Widerstreben und ungern gefaßt, ich gehe nach Pisino.
Also damit schließen sich meine péripéties. ich denke nur ungern daran
und konnte mich daher auch immer nicht entschließen, dieses dénouement
in diesen Blättern niederzulegen. Aber die wohlbekannte Atmosphäre von
dummheit, welche ich im ahnungsvollen geiste fürchtete, hat gewirkt, das
Bellen der hundertfältigen schafsköpfe um mich hat mich betäubt, und ich
bin in die falle gegangen.
Doch aber verzweifle ich noch nicht an mir, selbst jetzt, wenn ich mich
wieder in meine vorigen verhältnisse füge, so geschieht es mit einer fast
decidirten Arrière pensée, ja sogar eben nur diese auszuführen gehe ich
dahin, und diese ist wie folgt: vor Allem muß ich bemerken, daß mein Plan,
zur diplomatie zu kommen, total, wie ich es voraussah, gescheitert ist.
ich war nämlich endlich denn doch bei ottenfels oder vielmehr, ich wollte
zu ihm gehen, er war aber eben im staatsrathe, sagte aber ein paar tage
darauf meinem onkel henry [müller-hornstein], fürst metternich habe ihm
gesagt, er könne jetzt durchaus nichts für mich thun, nachdem ohnehin schon
so viele Attachés, denn nur um einen Attachéposten, nicht um den eines com-
mis hatte ich mich beworben, vorhanden seien, und sein trachten jetzt auf’s
vermindern, nicht etwa auf die vermehrung ihrer Anzahl hinausgehe.
nach diesem ist also meine Arrière pensée folgende, schon seit längerer
Zeit, und noch ehe ich den gedanken der diplomatie aufgeben mußte, trage
ich einen Plan mit mir herum, der mich ausschließend und mächtig anregt,
und dieser ist, ungekannt ein Werk in die Welt zu lanciren, welches öster-
reichs lage und wahrscheinliche Zukunft von einem neuen gesichtspunkte
darstellen soll. ich will österreich schildern, wahrhaft und sans rancune,
im gegentheil mit liebe und Anhänglichkeit an das land und auch an des-
sen herrscherhaus, denn beides liebe ich wirklich, aber als aufgeklärter,
sorgsamer in die Zukunft blickender freund.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien