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84 Tagebücher
von mir, der eine zechend, der andere am kamin schlafend. seit 36 stunden
regnet es in einem fort, und in dem elenden Wirthshaus ist gar nichts zu
bekommen, nicht ein mal Betten für uns, so daß ich nur mit vieler mühe
eines für mich allein auswirkte, jene Beyden dagegen müssen mit einem
Bett vorlieb nehmen. man urtheile daher über unsere lage und meinen
humor, da ich nur 14 tage Zeit vor mir habe, binnen welchen ich so vieles
unternehmen möchte und nun hier so mal-apropos meine Zeit verliehren
muß. Aber wir wollen beym Anfang anfangen.
gestern früh 5 uhr verließ ich mailand ganz als Bettelstudent mit dem
eilwagen, ohne Bedienten noch sonst wem reisend, was mich aber beson-
ders durch die vorstellung, ganz incognito zu bleiben, recht amusirte, denn
bei der haupt-idee, welche dieser meiner excursion zum grunde lag und
noch liegt, ist mir besonders viel darum zu thun, daß man meine spur nicht
verfolgen könne, wenn jemals einstens der fall eintreten sollte, daß dieses
versucht würde.
der eilwagen war bis sesto calende eine Art omnibus mit ziemlich viel
gesindel darin, welches wir aber nach und nach von station zu station ab-
luden. ich saß neben dem conducteur ganz oben auf der imperiale seelen-
vergnügt, bis es zu regnen anfing und dann auch bis Arona ohne Unterlaß
fort regnete, der Weg war so langweilig, als es überhaupt die ganze lom-
bardey und oberitalien ist, eine ewige fläche, rechts und links türkischen
Weitzen und reben, von Zeit zu Zeit dörfer mit ihren superben kirchen, die
besonders in der lombardey einen ganz eigenen bizantinisch-gothischen
styl haben. Wir begegneten viel truppen, die von den Bergen von gallarate
kamen.
gegen 12 uhr waren wir in sesto calende, fuhren da über den ticino,
welcher die gränze österreichs bildet, und kamen um 1 nach Arona, nach
dem essen gegen 3 uhr fuhren wir fort, nun längs dem lago maggiore,
ein herrlicher Weg, bis über Baveno, wo der Weg den see verläßt und in
die Alpen eindringt. indessen war es dunkel geworden, und da es hier
seit 3 tagen fast ununterbrochen regnet, stürzte das Wasser in tausend
improvisirten cascaden von den felsen von beyden theilen der straßen
herab, und das ganze Thal stand bereits unter Wasser; die Sache wurde
immer bedenklicher, und der conducteur meinte, wir würden in vogogna,
der nächsten Poststation übernachten müssen und erst tags darauf nach
Domo d’Ossola weiter können; indessen regnete es fort und fort, und es
war ganz nacht geworden, als wir an die Brücke bey magiandone über den
Ticino kamen; hier stieg der Conducteur ab und ging voraus, um den Weg
zu sondiren; als er zurück kam, sagte er uns, die Brücke sey zwar noch zu
passiren, jedoch sey die straße jenseits an einer stelle mannshoch unter
Wasser; wir mußten daher auf der Brücke ausspannen, umkehren, Alles im
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien