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118 Tagebücher
[mailand] 20. dezember
letztlich war komödie bey samoiloff, wozu sie mich mit aller gewalt hatte
beordern wollen, und nur mit vieler mühe gelang es mir mich los zu schrau-
ben, was ich zum theil der mitwirkung August lobkowitz verdanke, der
es ebensogut einsah, daß es mir unangenehm seyn müsse, vor der mailän-
der société als Spaßmacher zu débutiren; übrigens gelang die Vorstellung
recht gut. ich gehe noch immer oft hin und finde es meistens recht amusant
und heimlich, obwohl gerade nicht de meilleur genre; ihr fauteur ist gerade
jetzt ein junger Mailänder Laffe, Martini; und die Damen oder Weiber, die
am häufigsten herkommen ist [sic]: die famose emerittirte schönheit hru-
schowsky, die bey ihr ißt, trinkt und schläft, übrigens ganz comme il faut ist,
madame de camp, eine zweideutige französin sur le retour, die Bolognini-
vimercati, Pacinis maitresse, gräfin Berchtold-strong,1 mad. marsano,
frau v. Penzl aus Wien, etc. Alles aber keine vestalinnen. Bey hofe gibt
es auch alle montage furchtbare cercles, zu denen ich als neugebackener
kammerherr öfters erscheinen muß als ich gerade wollte, letzhin hatte ich
auch ein diner bey hof, und mit nächsten erwartet mich wieder eines, wenn
ich nähmlich Dienst haben werde; alles das ist aber nicht amusant; Nach
und nach lerne ich auch hie und da leute, d.h. damen aus der hiesigen Welt
kennen, jedoch ziemlich langsam.
meine Arbeit geht immer vorwärts, jedoch oft mit unterbrechungen von
mehreren Tagen; in 3–4 Wochen hoffe ich damit zu Ende zu seyn; jedoch
steht dann erst das squelette da, welches ich dann erst noch aus und umar-
beiten muß.
im laufe des kommenden Jahres, oder längstens im frühjahre 1842 gehe
ich auf jeden fall nach südamerika und vorher natürlich nach Wien, um mir
erlaubniß, empfehlungen und wo möglich Aufträge von seiten der regie-
rung zu erwirken; wenn es mir in Berücksichtigung meiner financiellen und
sonstigen Zustände möglich ist, noch im Jahre 1841 meine reise zu begin-
nen, so gehe ich ende Jänner auf 4 Wochen nach Wien, wo nicht, im nächst-
künftigen frühling, und in diesem letzten falle besuche ich wahrscheinlich
rom während der charwoche 1841.
Flore ist Hofdame bey Erzherzogin Marianne geworden; sie ist darüber
glücklich und also auch ich, auf jeden fall ist es ein großes glück, beyde
schwestern so brillant versorgt zu haben.
Gräfin Lottum ist in Luzern; von dort schrieb sie mir kürzlich, ihre An-
gelegenheiten nahen sich endlich einer glücklichen lösung. Bey neipperg,
welcher von Phrenologie und fourrierismus, seine 2 gegenwärtigen stek-
kenpferde, ein heller narr und ganz ungenießbar und beinahe de mauvaise
1 Wohl Gräfin Mathilde Berchtold, geb. Strachan.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien