Page - 127 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume I
Image of the Page - 127 -
Text of the Page - 127 -
12718.
Februar 1841
hen; ich hatte gehofft, noch den letzten Abend mit ihr zubringen zu können,
statt dessen aber wurde ein langweiliger familiencercle improvisirt, und so
konnte ich sie nur auf einen Moment herausrufen lassen; Gabrielle schien
sehr angegriffen und weinte heftig, mir selbst war nicht viel besser zu mu-
the, denn ich verliehre eine große ressource in ihr; zudem gibt es, glaube ich,
kaum ein Paar Geschwister, die sich so zugethan sind, als wir beyde; der Hof
geht von venedig directe nach Wien, so daß ich gabrielle wohl kaum früher
als im monath August wieder sehen werde. von gabrielle weg, schleppte ich
mich mühsam nach hause und legte mich um 9 uhr ins krankenbett, von
dem ich noch nicht vollkommen aufgestanden bin.
Also 2 oder 3 vacante Gouverneursstellen sind besetzt; Brandis bekömmt
tyrol, stadion, der eine immense carrière macht, triest, und Weingarten
geht nach Laibach, um Krain zur Verzweiflung zu bringen; mich freut es,
daß das küstenland endlich ein mal und zwar zum 1. male einen gouver-
neur erhält, welcher der eigentlichen hohen Aristocratie österreichs ange-
hört; dadurch wird sich manches anders und besser gestalten als bisher.
eine carrière wie die stadions wäre wohl schön, wenn man sich einmal bis
dahin und bis zu diesem Alter durchgearbeitet hat, aber die opfer sind groß,
die man unterdessen bringen muß. selbst so, muß ich gestehen, könnte sie
mich kaum reitzen, denn sie schließt 2 dinge aus, die mir immer die höch-
sten waren: die Welt sehen, und Politick.
[mailand] 18. februar
Der Fasching schleppt sich mühsam seinem Ende zu; in respectvollen
Zwischenräumen folgen sich die Paar Bälle, die es gibt, und die meistens
langweilig sind, da sich die leute, die sich außer dem fasching fast nicht
sehen, nur wenig kennen; was hier besonders auffällt, ist der Mangel an
umgang der frauen untereinander, und dieses ist doch eigentlich die Ba-
sis einer angenehmen gesellschaft, denn an eine einzelne, isolirte frau
schließt sich mit wahrem vergnügen doch immer nur ein mann. Auch
meine Wahl, wenn ich mich nicht täusche, wäre bereits getroffen, die Be-
glückte heißt virginie mgra. del Pozzo, und ich hätte gar nichts dagegen
der Paul dieser virginie zu werden,1 sie ist 21 Jahre alt, sehr hübsch, aus-
serordentlich élegant und hat einen guten, dummen mann, lauter vortreff-
liche Eigenschaften. Meine Flirtation geht einen ziemlich guten Gang;
letzthin ritt mich sogar der teufel einen Walzer mit ihr zu tanzen, für wel-
ches kühne unternehmen ich jedoch bitter gestraft wurde, denn trotz ihrer
leichten und charmanten tournure tanzt sie à la diable; übrigens forderte
1 Andrian spielt hier auf den populären roman „Paul et virginie“ von Jacques-henri Bernar-
din de saint-Pierre an.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien