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Tagebücher132
stande wäre freylich bald abgeholfen, nicht aber den ersten. hätte ich nicht
eine gewisse chevaleresque ehrlichkeit in mir, so würde ich suchen das mäd-
chen verliebt zu machen, und dann ohne die intervention der mutter hinter
ihrem Rücken weiter zu arbeiten; aber dazu habe ich die Kleine zu lieb, und
nebstdem hat sich, seit ich ihre Armuth gesehen habe, ein gewisses mitleid
in meine empfindungen gemischt, und es scheint mir als wäre es unwür-
dig und schlecht, ihr ihren einzigen schatz, die heiterkeit ihres gemüths zu
rauben; kurz, der Teufel wickle sich da heraus!
[mailand] 4. märz
es ist merkwürdig, wie sehr mich diese angehende liaison mit der kleinen
Pirovano hantirt und beschäftigt; ich bin in einer gränzenlosen Unentschlos-
senheit und Ungewißheit über mich selbst; bald glaube ich in sie verliebt zu
seyn, bald wieder nicht; bald möchte ich aufhören, bald nicht; bald denke
ich an die Annehmlichkeiten einer ruhigen liaison mit einer so hübschen
und herzigen Person, als sie es ist, bald wieder wandelt mich die reiselust
nach rom und neapel an, und ich denke an alle die kleinen schattenseiten
eines solchen verhältnisses und hauptsächlich an die schwierigkeit des Auf-
hörens. fritz lichtenstein redete mir letzthin Abends bey neipperg zu wie
ein galgenpater, ich sollte das ding bleiben lassen, aber wie immer wenn
man so ganz undecidirt ist, machte es für den moment eindruck auf mich
und verflog, sobald ich die Pirovano zum ersten Male wieder sah; indessen
bringe ich alle tage ein paar stunden dort zu in ihrem ärmlichen stübchen,
wo mir die Zeit wie im Traum vergeht; sie ist so ganz natürlich und einfach
und dabey so sittsam und modette, daß sie mir alle Tage lieber wird; sie hat
mir noch nicht einmal einen kuß erlaubt, so zwar daß wir sogar deßwegen
gestern einen Zank hatten, welchen ich sehr ernstlich aufzunehmen schien,
der mir aber unendlich viel Spaß machte; es mag seyn das [sic] alles das nur
Berechnung ist, um mich zu ködern; ich aber kann es nicht glauben, und irre
ich mich, so theile ich nur das gewöhnliche Loos aller Verliebten; die Leute
efforciren sich, wie immer in solchen fällen, mir geschichtchen von ihr zu
erzählen, ich glaube aber nicht daran; bey soviel Jugend und anscheinender
Unschuld; sie müßte eine elende Person seyn, wenn sie sich jetzt schon so
sehr verstellen könnte.
[mailand] 10. märz
mein roman ist zu einem unvermutheten dénouement gekommen, oder
steht wenigstens im Begriffe dahin zu kommen, und ich weiß nicht, ob ich
mich darüber freuen oder kränken soll; in diesem Augenblicke, wo die Sa-
che noch ganz frisch, und mir meine Besuche bey meiner herzigen kleinen
Pirovano zur täglichen gewohnheit und zu einer Art von délassement, auf
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien