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Tagebücher134
strigen explication zärtlicher und ergriffener als je zuvor, aber sie müsse ans
heirathen und an ihre Zukunft denken, worin ich ihr auch nicht unrecht
geben kann. Kurz, morgen erhalte ich meinen Abschied; meine Absicht ist
nun eine ehrenvolle retraite zu machen, d.h. auf eine solche Art aufzuhören,
daß ich mir ihre Freundschaft und Zuneigung erhalte; aber was ich nicht ge-
glaubt hätte, ist, daß mir diese gezwungene trennung seit gestern unange-
nehme stunden und eigentlich eine fortdauernde depression of spirits verur-
sacht; in dem Augenblicke der discussion selbst war ich, wie bey mir immer,
vollkommen kalt und überlegt; wie ich aber von ihr weg war, und besonders
im theater, als Adelaide, ihrem Bräutigam zu gefallen, wenigstens glaube
ich so (denn er weiß von meiner Bekanntschaft) von mir weniger notiz als
gewöhnlich nahm und mich nur 1–2 mal verstohlen anblickte, so daß alle
Anwesenden in unserer loge sich wunderten und mich fragten, was denn
das sey, und endlich mehr als jemals heute früh, war mir wirklich lausig zu
muthe. so schwach als meine leidenschaft, wenn man es so nennen kann,
für das mädchen war, so war es doch eine Art von Beschäftigung, eine Ab-
wechslung in dem farblosen einerley meines lebens, und dieses nach einem
kurzen traum zu zerreißen, fällt mir härter als ich dachte, es ist der ennui
welcher uns zu solchen geschichtchen treibt, und der ennui erwartet uns
wieder, aber doppelt so peinigend, wenn wir sie aufgeben. eine reise allein
kann diesen ennui heilen, und das soll versucht werden.
[mailand] 13. märz
das dénouement ist da, und so wie ich es dachte und voraus sah, und mir ist
nun leichter zu muthe, sey es, weil ich mich nach und nach daran gewöhne,
oder weil eine entschiedene sache immer besser ist als eine zweifelhafte.
Also vorgestern wo ich die entscheidung erfahren sollte, traf ich weder Ade-
laide noch ihre mutter zu hause, da sie eben in ihren heiraths-geschäften
einen nothwendigen Gang machten; gestern aber erwarteten mich beyde,
und da sagte mir denn Adelaide, was ich übrigens schon wußte, daß mit me-
rante Alles in richtigkeit sey und er sein förmliches heirathsversprechen
ausgestellt habe; hiernach ist denn zwischen uns Alles vorüber; ich machte
das ding sehr schön, sagte ihr, wenn sie jemals meiner, zu was immer, be-
dürfen sollte, möchte sie immer auf mich zählen, gab ihr eine menge gute
Lehren, wünschte ihr Alles Mögliche Glück, und ging; sie wollte mir ein
kleines Andenken, ein Beutelchen oder sowas, arbeiten, ich aber wollte ihre
Haare haben; sie aber wollte mir diese nicht geben, und so endete unsere
discussion hierüber; sie kam mir angegriffener vor, besonders Anfangs, als
ich es erwartet hätte, und ich verließ sie mit der festen überzeugung, daß
wenn sie der stimme ihres herzens statt der ihres verstandes gefolgt wäre,
sie für mich entschieden hätte. und somit wäre denn dieser kurze versuch
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien