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Tagebücher138
Die Verwaltung Piemonts ist ganz militärisch; der Commandante della
Divisione ist zugleich oberster politischer und Polizey-Chef der Provinz; für
administration und Finanzen ist aber in jeder Provinz eine Intendanz; die
capitulations-Zeit1 ist 8 Jahre, und für solche die besondere Befreyungs-
gründe haben, 1 Jahr.
morgen Abends um 5 uhr geht ein dampfschiff nach livorno und civita-
vecchia, und mit diesem werde ich abfahren, es müßte denn das Wetter gar
schlecht seyn, wovor ich mich, der Seekrankheit wegen, besonders fürchte;
jetzt schon gar, zur Zeit der Aequinoction.
rom 27. märz
mittwoch den 21.2 war das herrlichste Wetter von der Welt, welches auch
Gottlob seither fortdauert; ich stieg denn wieder ganz getrost in Genua
herum und ennuyirte mich weidlich; das Alleinreisen ist im Grunde immer
langweilig, und doch ist es meistens mein schicksal, weil ich es dennoch
der gêne vorziehe, sich nach Andern richten zu müssen, man müßte denn
mit diesem Ein Leib und Eine Seele seyn; ich promenirte lange auf den ba-
stions und genoß in vollen Zügen das herrliche Wetter und die magnifique
Vegetation um mich; nach Tische fuhr ich auf’s Dampfboot, welches um 6
uhr abgehen sollte, aber mit der gewöhnlichen italiänischen unpünktlich-
keit erst nach 7 Uhr abfuhr; es war der Giano, Janus, ein piemontesisches
dampfschiff, höchst schmutzig, klein und schlecht, zudem von kisten, Bal-
len, Wägen etc. so encombrirt, daß man sich auf dem verdeck kaum rühren
konnte; unten war noch weniger Raum, nicht ein Mal ein Canapé gab es auf
dem abscheulichen Kahne; zum Glücke hatte ich ein Kabinet allein für mich
genommen oben am verdeck, jedoch dicht neben dem rad, dessen lärmen
mich Anfangs desparat machte, bald aber gewöhnte ich ihn und verschlief
glücklich die ganze Überfahrt bis Livorno; es waren meistens Deutsche und
mehrere damen an Bord, aber im ganzen nichts besonderes, 2 sehr distin-
guirt aussehende herren vom hofe der königin mutter von sardinien in
rom, etc. und ein mailänder mahler, Bilder resta[u]rateur, und händler,
Giuseppe Finetti, mit dem ich schon von Mailand nach Genua gefahren war;
mit diesem sprach ich am meisten, er erzählte mir von seinen succés und
seiner kunst und schimpfte, mich für einen engländer haltend, mitunter
tüchtig auf die Deutschen; adesso vanno in carozza, sagte er von ein paar
deutschen familien sprechend, die ihre Wägen mit hatten, primo andavano
apiedi, als ob das den Italiänern abgezapfter Wohlstand wäre; er amusirte
mich mitunter, wurde mir aber auch zuweilen mit seiner italiänischen fa-
1 militärdienstzeit.
2 richtig 24. märz.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien