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Tagebücher142
schleppte mich dann noch ein wenig auf den corso, und ging dann gegen 9
uhr nach hause.
[rom] 28. märz
Heute war Sontag [sic] und daher nicht viel zu machen; ich arbeitete Früh
ein paar stunden lang an meinem Werke, welches ich wie ein Brevier über-
all mit mir führe; ja ich fühle mich sogar auf Reisen besser dazu aufgelegt,
wo ich all den kleinen und täglichen sorgen, geschäften und gedanken ent-
rückt bin, die mich zu Hause in Anspruch nehmen; so war z.B. heute der
erste Tag seit 6 Wochen, an dem ich diese Arbeit wieder vornahm; diese
ganze Zeit über hatte ich dazu bald nicht Lust, bald keine Muße; so wie man
aber aus seinem Alltagsleben, aus seinem stabilitäts-centrum heraus ist,
hat man gleich größere, weitere ideen und sieht Alles von einem höhern,
weitern Standpunkt an; deßhalb finde ich das Reisen von Zeit zu Zeit so
wohltätig.
mein Werk ist nun schon seit mehreren monaten fertig, und es fehlt nur
noch das Ausfeilen, poliren und hin und wieder Ergänzen einiger Data; es ist
mir unter der hand zusammen geschmolzen und nicht mehr was es werden
sollte, eine umfassende darstellung der österreichischen verfassung und
Verwaltung; nach den im vorigen Jahre erschienenen Werken, besonders
von P. turnbull,1 schien mir dieß überflüssig; sondern es ist jetzt blos mehr
eine Beleuchtung der resultate, die sich aus österreichs factischem Zustand
ergeben, in ihren höchsten politischen Beziehungen, und eine Prüfung der
Garantien, welche sie für Österreichs Stabilität gewähren; eine Darstellung
der tendenz unseres staatslebens und der mittel, diesem die erwünschte
und allein heilsame Richtung zu geben; also mehr eine Flugschrift als ein
Buch, und eben deßhalb werde ich es auch nicht mehr so ängstlich feilen,
als ich Anfangs wollte, sondern es vertrauensvoll in die Welt lanciren, be-
sonders da der jetzige Augenblick, wo Preußen, der uns verwandteste staat,
uns den Weg weisen zu wollen scheint,2 gerade der günstigste seyn dürfte;
meine Absicht hiebey ist einzig die, mein scherflein zur erringung dessen
beizutragen, was ich als das für uns Wünschenswertheste betrachte; mein
eigener vortheil und ehrgeitz kommt hier nicht in Betracht, er wird durch
1 Peter evan turnbull, Austria. teil 1: narrative of travels. teil 2: social and Political con-
dition (London 1840); deutsche Ausgaben Oesterreichs sociale und politische Zustände
(leipzig 1840) und reise durch die oesterreichischen staaten (leipzig 1841).
2 gemeint sind die zunächst im sinn einer liberalisierung und modernisierung aufgefassten
maßnahmen des seit 7.6.1840 regierenden neuen preußischen königs friedrich Wilhelm iv.
(z.B. Generalamnestie für verfolgte und inhaftierte Demagogen, Ende des Konflikts mit der
katholischen kirche, Zugeständnisse an die polnische minderheit, erneuerung der Zusage
seines vaters, eine verfassung zu erlassen).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien