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1535.
April 1841
sogar ein mal den heiligen ulrich anrufen1 mußte; wir schlossen uns an, bis
uns plötzlich die kaiserthüre vor der nase zugeschlagen und nur der hohe
clerus hinein gelassen wurde. nachher war großes, vom Papst celebrirtes
hochamt mit gesangsbegleitung, darunter unzählige castraten mit ihren
widerlichen stimmen, ohne alles orchester noch orgel, ich fand das ganze
des Stehens wegen ermüdend, langweilig und durchaus nicht imposant; die
damen waren alle weit weg von uns, so daß man nicht ein mal eine Augen-
weide hatte; von hohen Herrschaften waren die Königin Wittwe von Sardi-
nien und die herzogin von cambridge. Während des hochamts, welches oh-
nehin ein bloßes spectakel und durchaus keine Andacht ist, stieg ich in der
kirche herum, welche des infamen Wetters (denn es goß in strömen) wegen
ziemlich leer an volke war, zum theil mit karaczonji, dessen auffallendes
ungarisches kleid ein énormes Aufsehen machte.
Es war 2 Uhr als ich nach Hause kam; nach einem déjeuner à la
fourchette ging ich zu hans k[olowrat], wo ich einige Zeit verplauderte, und
dann zu karaczonji, mit dem ich um 6 uhr zu geimüller ging, bey welchem
wir ein vortreffliches herrendiner hatten, wo ich mich so comfortable und
behaglich befand, daß ich mein vorhaben, eine diner-visite bey lützow zu
machen, aufgab und blos meinen Wagen, lohnbedienten und 2 karten hin-
schickte, welche, da ohnehin, wie ich dann hörte, nicht empfangen wurde,
vollkommen meine Stelle vertraten; es waren da außer Geimüller und mir,
Wenkheim, cebrian, karaczonji, lotzbeck und ein russe, dessen nahmen
ich vergaß; unter andern sprach ich heute in der Kirche Tiesenhausen, der
eben von neapel kommt und durch die liebe wo möglich noch dünner gewor-
den ist. Aus dem diner wurde ein thee, und ich kam erst nach 11 uhr nach
hause.
morgen werde ich dem Papste vorgestellt, was mich sehr gênirt, da ich
morgen nach Tivoli wollte, indem die hübsche Miss Rowley auch dahin fährt;
ich hoffe aber, morgen regnet es wie heute, und sie muß dann ebenfalls ihre
Parthie verschieben; es ist dieselbe Familie Rowley, welche vorigen Som-
mer eine ihrer töchter, die schwester meiner schönheit, in grindelwald
im Berner oberland durch einen schrecklichen Zufall verlohren, indem der
schnee unter ihren füßen nachgab, und sie in den Abgrund stürzte.
[rom] 5. April
Heute morgens erhielt ich Briefe von Flore und Öttl aus Pisino; der Contrast
zwischen Pisino und rom frappirte mich sehr, als er mir so unerwartet vors
Gemüth geführt wurde; ich wundere mich oft selbst darüber, daß ich mich so
gerne an Pisino erinnere und mich dafür so sehr interessire, aber an nichts
1 erbrechen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien