Page - 5 - in Utopia
Image of the Page - 5 -
Text of the Page - 5 -
plaudern, mit den Kindern schwatzen und mit dem Gesinde sprechen. Alles
das rechne ich zu meinen Pflichten, weil es erledigt werden muß. Es muß aber
erledigt werden, wenn man nicht in seinem eigenen Hause ein Fremdling sein
will. Man muß sich überhaupt Mühe geben, so liebenswürdig wie möglich zu
denen zu sein, die einem die Natur als Begleiter auf dem Lebenswege
vorgesehen oder die der Zufall oder eigene Wahl dazu gemacht hat. Nur darf
man sie nicht durch Leutseligkeit verderben und die Diener nicht durch
Nachsicht zu seinen Herren werden lassen. Über dem, was ich angeführt
habe, geht ein Tag, geht ein Monat, geht ein Jahr hin. Wann also komme ich
da zum Schreiben? Und dabei habe ich noch gar nicht vom Schlafen
gesprochen und auch noch nicht einmal vom Essen, das bei vielen Leuten
nicht weniger Zeit in Anspruch nimmt als der Schlaf, der fast die Hälfte der
Lebenszeit für sich beansprucht. Aber für mich gewinne ich nur so viel Zeit,
wie ich mir vom Schlafen und Essen abstehle. Weil das nur wenig ist, so habe
ich die Utopia auch nur langsam fertiggebracht; weil es aber immerhin etwas
ist, so ist sie doch nun endlich fertig geworden, und ich schicke sie Dir zu,
damit Du sie liest und mich darauf aufmerksam machst, falls mir etwas
entgangen sein sollte. Nun habe ich freilich in dieser Beziehung ziemlich viel
Zutrauen zu mir – ich wollte, mit meinem Geiste und mit meinem Wissen
stünde es ebenso wie mit meinem Gedächtnis, das mich nur manchmal im
Stiche läßt –, doch ist mein Zutrauen nicht so groß, daß ich annehmen dürfte,
mir könnte nichts entfallen sein. Denn auch mein Famulus, Johannes
Clemens, hat mich sehr bedenklich gestimmt. Wie Du ja wohl weißt, war er
damals dabei, und ich lasse ihn an jeder Unterhaltung teilnehmen, aus der er
etwas lernen kann; denn von diesem Schößling, der im Lateinischen wie im
Griechischen zu grünen begonnen hat, erhoffe ich dereinst einen guten Ertrag.
Soviel ich mich nämlich erinnere, hat Hythlodeus erzählt, jene Brücke von
Amaurotum über den Fluß Anydrus sei 500 Doppelschritte lang. Mein
Johannes aber meinte, man müsse 200 abziehen; der Fluß sei dort nicht breiter
als 300 Doppelschritte. Besinne Dich doch bitte noch einmal darauf! Wenn
Du nämlich der gleichen Meinung bist wie Johannes, so will auch ich
zustimmen und einen Irrtum meinerseits annehmen. Solltest Du aber selbst
Dich nicht mehr besinnen können, so bleibt stehen, worauf ich mich selbst zu
besinnen glaube. Wenn ich mich nämlich auch vor jeder falschen Angabe in
dem Buche streng hüten will, so ziehe ich doch in Zweifelsfällen die
Unwahrheit der Lüge vor, weil ich Tugend höher schätze als Klugheit.
Freilich wäre dieser Schaden leicht zu heilen, wenn Du Raphael selbst
mündlich oder schriftlich fragen wolltest. Das mußt Du sowieso tun wegen
eines anderen Bedenkens, das uns gekommen ist, ich weiß nicht, ob mehr
durch meine oder Deine oder Raphaels eigene Schuld. Denn weder ist es uns
in den Sinn gekommen, danach zu fragen, noch ihm, es uns zu sagen, in
welcher Gegend jenes neuen Erdteils Utopia liegt. Wahrhaftig, wie gern
5
back to the
book Utopia"
Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik