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Als Sühne für Diebstähle ist die Todesstrafe nämlich zu grausam, und, um
vom Stehlen abzuschrecken, ist sie trotzdem unzureichend. Denn einerseits ist
einfacher Diebstahl doch kein so schlimmes Verbrechen, daß es mit dem Tode
gebüßt werden müßte, anderseits aber gibt es keine so harte Strafe, diejenigen
von Räubereien abzuhalten, die kein anderes Gewerbe haben, um sich den
Lebensunterhalt zu verdienen. Wie mir daher scheint, folgt ihr in dieser Sache
– wie ein guter Teil der Menschheit übrigens auch – dem Beispiel der
schlechten Lehrer, die ihre Schüler lieber prügeln als belehren. So verhängt
man harte und entsetzliche Strafen über Diebe, während man viel eher dafür
hätte sorgen sollen, daß sie ihren Unterhalt haben, damit sich niemand der
grausigen Notwendigkeit ausgesetzt sieht, erst zu stehlen und dann zu
sterben.«
»Dafür ist ja doch zur Genüge gesorgt«, erwiderte er. »Wir haben ja das
Handwerk und den Ackerbau. Beides würde sie ernähren, wenn sie nicht aus
freien Stücken lieber Gauner sein wollten.«
»Halt, so entschlüpfst du mir nicht!« antwortete ich. »Zunächst wollen wir
nicht von denen reden, die, wie es häufig vorkommt, aus inneren oder
auswärtigen Kriegen als Krüppel heimkehren wie vor einer Reihe von Jahren
aus der Schlacht gegen die Cornwaller und unlängst aus dem Kriege mit
Frankreich. Für den Staat oder für den König opfern sie ihre gesunden Glieder
und sind nun zu gebrechlich, um ihren alten Beruf wieder auszuüben, und zu
alt, um sich für einen neuen auszubilden. Diese Leute wollen wir also, wie
gesagt, beiseite lassen, da es nur von Zeit zu Zeit zu einem Kriege kommt,
und betrachten wir nur das, was tagtäglich geschieht!
Da ist zunächst die so große Zahl der Edelleute. Selber müßig, leben sie
wie die Drohnen von der Arbeit anderer, nämlich von der der Bauern auf
ihren Gütern, die sie bis aufs Blut aussaugen, um ihre persönlichen Einkünfte
zu erhöhen. Das ist nämlich die einzige Art von Wirtschaftlichkeit, die jene
Menschen kennen; im übrigen sind sie Verschwender, und sollten sie auch
bettelarm dadurch werden. Außerdem aber scharen sie einen gewaltigen
Schwarm von Tagedieben um sich, die niemals ein Handwerk gelernt haben,
mit dem sie sich ihr Brot verdienen könnten. Diese Leute wirft man sofort auf
die Straße, sobald der Hausherr stirbt oder sie selbst krank werden; denn
lieber füttert man Faulenzer durch als Kranke, und oft ist auch der Erbe gar
nicht in der Lage, die väterliche Dienerschaft weiter zu halten. Inzwischen
leiden jene Menschen tapfer Hunger oder treiben tapfer Straßenraub. Was
sollten sie denn sonst auch tun? Haben nämlich erst einmal ihre Kleider und
ihre Gesundheit durch das Herumstrolchen auch nur ein wenig gelitten, so
mag sie, die infolge ihrer Krankheit von Schmutz starren und in Lumpen
gehüllt sind, kein Edelmann mehr in Dienst nehmen. Aber auch die Bauern
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Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik