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schmeicheln. Aber man kann gar nicht glauben, daß sich eure Handwerker in
der Stadt und eure ungeschlachten Bauern auf dem Lande vor dem faulen
Troß der Edelleute sehr fürchten außer denjenigen, denen es infolge ihrer
körperlichen Schwäche an Kraft und Kühnheit fehlt oder deren Energie durch
häusliche Not geschwächt wird. So wenig ist also zu befürchten, daß diese
Leute etwa verweichlicht werden könnten, wenn sie für einen nützlichen
Lebensberuf ausgebildet und in Männerarbeit geübt werden. Vielmehr
erschlaffen jetzt ihre gesunden und kräftigen Körper – die Edelleute geruhen
nämlich, nur ausgesuchte Leute zugrunde zu richten – durch Nichtstun, oder
sie werden durch fast weibische Beschäftigung verweichlicht. Auf keinen Fall
liegt es, will mir scheinen, – wie es sich auch sonst mit dieser Sache verhalten
mag – im Interesse des Staates, nur für den Kriegsfall, den ihr doch nur habt,
wenn ihr ihn haben wollt, eine unermeßliche Schar von Menschen dieser
Sorte durchzufüttern, die den Frieden so gefährden, auf den man doch um so
viel mehr bedacht sein sollte als auf den Krieg.
Und doch ist das nicht der einzige Zwang zum Stehlen. Es gibt noch einen
anderen, der euch, wie ich meine, in höherem Grade eigentümlich ist.«
»Welcher ist das?« fragte der Kardinal.
»Eure Schafe«, sagte ich. »Sie, die gewöhnlich so zahm und genügsam
sind, sollen jetzt so gefräßig und wild geworden sein, daß sie sogar Menschen
verschlingen sowie Felder, Häuser und Städte verwüsten und entvölkern. In
all den Gegenden eures Reiches nämlich, wo die feinere und deshalb teurere
Wolle gewonnen wird, genügen dem Adel und den Edelleuten und sogar
bisweilen Äbten, heiligen Männern, die jährlichen Einkünfte und Erträgnisse
nicht mehr, die ihre Vorgänger aus ihren Gütern erzielten. Nicht zufrieden
damit, daß sie mit ihrem faulen und üppigen Leben der Allgemeinheit nichts
nützen, sondern eher schaden, lassen sie kein Ackerland übrig, zäunen alles
als Viehweiden ein, reißen die Häuser nieder, zerstören die Städte, lassen nur
die Kirchen als Schafställe stehen und, gerade als ob bei euch die Wildgehege
und Parkanlagen nicht schon genug Grund und Boden der Nutzbarmachung
entzögen, verwandeln diese braven Leute alle bewohnten Plätze und alles
sonst irgendwo angebaute Land in Einöden.
Damit also ein einziger Verschwender, unersättlich und eine grausige Pest
seines Vaterlandes, einige tausend Morgen zusammenhängenden Ackerlandes
mit einem einzigen Zaun umgeben kann, vertreibt man Pächter von Haus und
Hof. Entweder umgarnt man sie durch Lug und Trug oder überwältigt sie mit
Gewalt; man plündert sie aus oder treibt sie, durch Gewalttätigkeiten bis zur
Erschöpfung gequält, zum Verkauf ihrer Habe. So oder so wandern die
Unglücklichen aus, Männer und Weiber, Ehemänner und Ehefrauen, Waisen,
Witwen, Eltern mit kleinen Kindern oder mit einer Familie, weniger reich an
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Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik