Page - 22 - in Utopia
Image of the Page - 22 -
Text of the Page - 22 -
Tötung eines Menschen nur insoweit verbiete, als sie nicht ein menschliches
Gesetz gebietet, was steht dann dem im Wege, daß die Menschen auf dieselbe
Weise unter sich festsetzen, inwieweit Unzucht zu dulden sei und Ehebruch
und Meineid? Gott hat einem jeden die Verfügung nicht nur über ein fremdes,
sondern sogar über das eigene Leben genommen; wenn aber menschliches
Übereinkommen, sich unter gewissen Voraussetzungen gegenseitig töten zu
dürfen, so viel gelten soll, daß es seine dienstbaren Geister von den
Bindungen jenes Gebotes befreit und diese dann ohne jede göttliche Strafe
Menschen ums Leben bringen dürfen, die Menschensatzung zu töten befiehlt,
bleibt dann nicht jenes Gottesgebot nur insoweit in Geltung, als
Menschenrecht es erlaubt? Und so wird es in der Tat dahin kommen, daß auf
dieselbe Weise die Menschen festsetzen, inwieweit Gottes Gebote beachtet
werden sollen! Und schließlich hat sogar das mosaische Gesetz, obwohl
erbarmungslos und hart, da es für Sklavenseelen, und zwar für verstockte,
erlassen war, den Diebstahl trotzdem nur mit Geld und nicht mit dem Tode
bestraft. Wir wollen doch nicht glauben, daß Gott mit dem neuen Gesetz der
Gnade, durch das er als Vater seinen Kindern gebietet, uns größere Freiheit
gewährt hat, gegeneinander zu wüten!
Das sind die Gründe, die ich gegen die Todesstrafe vorzubringen habe. In
welchem Grade aber widersinnig und sogar verderblich für den Staat eine
gleichmäßige Bestrafung des Diebes und des Mörders ist, das weiß, meine
ich, jeder. Wenn nämlich der Räuber sieht, daß einem, der wegen bloßen
Diebstahls verurteilt ist, keine geringere Strafe droht, als wenn der
Betreffende außerdem noch des Mordes überführt wird, so veranlaßt ihn
schon diese eine Überlegung zur Ermordung desjenigen, den er andernfalls
nur beraubt hätte. Denn abgesehen davon, daß für einen, der ertappt wird, die
Gefahr nicht größer ist, gewährt ihm der Mord sogar noch größere Sicherheit
und mehr Aussicht, daß die Tat unentdeckt bleibt, da ja der, der sie anzeigen
könnte, beseitigt ist. Während wir uns also bemühen, den Dieben durch allzu
große Strenge Schrecken einzujagen, spornen wir sie dazu an, gute Menschen
umzubringen.
Was ferner die übliche Frage nach einer besseren Art der Bestrafung
anlangt, so ist diese viel leichter zu finden als eine noch weniger gute. Warum
sollten wir denn eigentlich an der Nützlichkeit jener Methode der Bestrafung
von Verbrechen zweifeln, die, wie wir wissen, in alten Zeiten so lange den
Römern zugesagt hat, die doch so große Erfahrung in der Staatsverwaltung
besaßen? Diese pflegten nämlich überführte Schwerverbrecher zur Arbeit in
den Steinbrüchen und Bergwerken zu verurteilen, wo sie dauernd Fesseln
tragen mußten. Jedoch habe ich in dieser Beziehung auf meinen Reisen bei
keinem Volke eine bessere Einrichtung gefunden als in Persien bei den
sogenannten Polyleriten, einem ansehnlichen Volke mit einer recht
22
back to the
book Utopia"
Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik