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verständigen Verfassung, das dem Perserkönig nur einen jährlichen Tribut
zahlt, im übrigen aber unabhängig ist und nach eigenen Gesetzen lebt. Sie
wohnen weitab vom Meere, sind fast ganz von Bergen eingeschlossen,
begnügen sich in jeder Beziehung durchaus mit den Erträgnissen ihres Landes
und pflegen mit anderen Völkern wenig Verkehr. Infolgedessen sind sie auch,
einem alten Herkommen ihres Volkes entsprechend, nicht auf Erweiterung
ihres Gebietes bedacht. Innerhalb dieses selbst aber bieten ihnen ihre Berge
sowie das Geld, das sie dem Eroberer zahlen, mühelos Schutz vor jeder
Gewalttat. Völlig frei vom Kriegsdienst, führen sie ein nicht ebenso
glänzendes wie bequemes Leben in mehr Glück als Vornehmheit und
Berühmtheit, ja nicht einmal dem Namen nach, meine ich, hinreichend
bekannt außer in der Nachbarschaft. Wer nun bei den Polyleriten wegen
Diebstahls verurteilt wird, gibt das Gestohlene dem Eigentümer zurück, nicht,
wie es anderswo Brauch ist, dem Landesherrn, weil dieser nach ihrer
Meinung auf das gestohlene Gut ebenso wenig Anspruch hat wie der Dieb
selbst. Ist es aber abhanden gekommen, so ersetzt und bezahlt man seinen
Wert aus dem Besitz der Diebe, den Rest behalten ihre Frauen und Kinder
unverkürzt, und die Diebe selbst verurteilt man zu Zwangsarbeit. Nur wenn
schwerer Diebstahl vorliegt, sperrt man sie ins Arbeitshaus, wo sie Fußfesseln
tragen müssen; sonst behalten sie ihre Freiheit und verrichten ungefesselt
öffentliche Arbeiten. Zeigen sie sich widerspenstig und zu träge, so legt man
sie zur Strafe nicht in Fesseln, sondern treibt sie durch Prügel zur Arbeit an;
Fleißige dagegen bleiben von Gewalttätigkeiten verschont; nur des Nachts
schließt man sie in Schlafräume ein, nachdem man sie durch Namensaufruf
kontrolliert hat. Die dauernde Arbeit ist die einzige Unannehmlichkeit in
ihrem Leben. Ihre Verpflegung ist nämlich nicht kärglich. Für diejenigen, die
öffentliche Arbeiten verrichten, wird sie aus öffentlichen Mitteln bestritten,
und zwar in den einzelnen Gegenden auf verschiedene Weise. Hier und da
nämlich deckt man den Aufwand für sie aus Almosen; wenn diese Methode
auch unsicher ist, so bringt doch bei der mildtätigen Gesinnung jenes Volkes
keine andere einen reicheren Ertrag. Anderswo wieder sind gewisse
öffentliche Einkünfte für diesen Zweck bestimmt. In manchen Gegenden
findet dafür auch eine feste Kopfsteuer Verwendung. Ja, an einigen Orten
verrichten die Sträflinge keine Arbeit für die Öffentlichkeit, sondern, wenn
ein Privatmann Lohnarbeiter braucht, so mietet er die Arbeitskraft eines
beliebigen von ihnen auf dem Markte für den betreffenden Tag und zahlt
dafür einen festgesetzten Lohn, nur etwas weniger, als er für freie Lohnarbeit
würde zahlen müssen. Außerdem steht ihm das Recht zu, faule Sklaven zu
peitschen. Auf diese Weise haben sie niemals Mangel an Arbeit, und außer
seinem Lebensunterhalt verdient jeder täglich noch etwas, was er an die
Staatskasse abführt. Sie allein sind alle in eine bestimmte Farbe gekleidet und
tragen das Haar nicht vollständig geschoren, sondern nur ein Stück über den
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book Utopia"
Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik