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Ohren verschnitten, und das eine Ohr ist etwas gestutzt. Speise, Trank und
Kleidung von seiner Farbe darf sich jeder von seinen Freunden geben lassen;
wer dagegen ein Geldgeschenk gibt oder annimmt, wird mit dem Tode
bestraft; und nicht weniger gefährlich ist es auch für einen Freien, aus
irgendeinem Grunde von einem Sträfling Geld anzunehmen, und ebenso für
die Sklaven – so nennt man nämlich die Sträflinge –, Waffen anzurühren. Jede
Landschaft macht ihre Sklaven durch ein eigenes, unterscheidendes Zeichen
kenntlich, das abzulegen bei Todesstrafe verboten ist. Dieselbe Strafe trifft
auch den, der sich außerhalb seines Bezirks sehen läßt oder mit einem
Sklaven eines anderen Bezirks ein Wort spricht. Die Planung einer Flucht ist
ebenso gefährlich wie ihre Ausführung; schon von einem solchen Plane
gewußt zu haben, bedeutet für den Sklaven den Tod und für den Freien
Knechtschaft. Dagegen sind auf Anzeigen Preise ausgesetzt, und zwar erhält
ein Freier Geld, ein Sklave dagegen die Freiheit; beiden aber gewährt man
Verzeihung und Straflosigkeit, auch wenn sie von der Sache gewußt haben.
Dadurch will man verhüten, daß es mehr Sicherheit bietet, auf einem
schlimmen Plane zu beharren als ihn zu bereuen.
So also ist diese Angelegenheit gesetzlich geregelt, wie ich es beschrieben
habe. Wie menschlich und zweckmäßig dieses Verfahren ist, kann man leicht
einsehen. Übt es doch nur insoweit Strenge aus, als die Verbrechen beseitigt
werden; dabei kostet es kein Menschenleben, und die Übeltäter werden so
behandelt, daß sie gar nicht anders können, als gut zu sein und den Schaden,
den sie vorher angerichtet haben, durch ihr weiteres Leben wieder
gutzumachen.
Daß ferner Sträflinge in ihre alte Lebensweise verfallen könnten, ist
durchaus nicht zu befürchten. Infolgedessen halten sich auch Fremde, die
irgendwohin reisen müssen, unter keiner anderen Führung für sicherer als
unter der jener Sklaven, die dann von einer Gegend zur anderen unmittelbar
wechseln. Denn sie besitzen nichts, was sie zu einem Raubüberfall reizen
könnte: in der Hand haben sie keine Waffe, Geld würde ihre verbrecherische
Tat nur verraten, und der Ertappte müßte mit Bestrafung und völliger
Aussichtslosigkeit, irgendwohin fliehen zu können, rechnen. Wie sollte es
nämlich jemand auch fertig bringen, völlig unbemerkt zu fliehen, wenn sich
seine Kleidung in jedem Stück von der seiner Landsleute unterscheidet? Er
müßte sich denn gerade nackend entfernen. Ja, auch in dem Falle würde den
Ausreißer das Ohr verraten. Aber könnten die Sträflinge nicht vielleicht an
eine Verschwörung gegen den Staat denken? Wäre das nicht doch eine
Gefahr? Als ob irgendeine Gruppe solch eine Hoffnung hegen dürfte, ehe
nicht die Sklaven zahlreicher Landschaften unruhig geworden und
aufgewiegelt sind, denen es nicht einmal erlaubt ist zusammenzukommen,
miteinander zu sprechen oder sich gegenseitig zu grüßen, die also noch viel
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Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik