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weniger eine Verschwörung anzetteln könnten! Sollte man ferner annehmen
dürfen, sie würden diesen Plan inzwischen unbesorgt ihren Anhängern
anvertrauen, während sie doch wissen, daß Verschweigen gefährlich, Verrat
aber höchst vorteilhaft ist? Und dabei hat niemand so gänzlich die Hoffnung
aufgegeben, doch irgendwann einmal die Freiheit wieder zu erlangen, wenn er
sich gehorsam zeigt und eine Besserung in der Zukunft zuversichtlich
erwarten läßt. Wird doch in jedem Jahre ein paar Sklaven zum Lohn für
geduldiges Ausharren die Freiheit wieder geschenkt.«
So sprach ich. Als ich dann noch hinzufügte, es liege meiner Meinung nach
gar kein Grund vor, dieses Verfahren nicht auch in England anzuwenden, und
zwar mit viel größerem Erfolg als jenen Rechtsbrauch, den der Jurist so sehr
gelobt hatte, da erwiderte mir dieser sofort: »Niemals ließe sich dieser Brauch
in England einführen, ohne daß der Staat dadurch in die größte Gefahr
geriete!« Und bei diesen Worten schüttelte er den Kopf, verzog den Mund
und schwieg dann, und alle Anwesenden stimmten ihm zu. Da meinte der
Kardinal: »Man kann nicht so leicht voraussagen, ob die Sache günstig oder
ungünstig ausgeht, solange man sie überhaupt noch nicht erprobt hat. Aber
nach Verkündigung eines Todesurteils könnte ja der Landesherr einen
Aufschub der Vollstreckung anordnen und unter Einschränkung der
Privilegien der Asylstätten dieses neue Verfahren erproben. Sollte es sich
durch den Erfolg als zweckmäßig bewähren, so wäre es wohl richtig, es zur
dauernden Einrichtung zu machen. Andernfalls könnte man ja die vorher
Verurteilten auch dann noch hinrichten, und das wäre von nicht geringem
Vorteil für den Staat und nicht ungerechter, als wenn es gleich geschähe, und
auch in der Zeit des Aufschubs könnte keine Gefahr daraus erwachsen. Ja,
wie mir sicher scheint, würde dieselbe Behandlung auch den Landstreichern
gegenüber sehr angebracht sein; denn gegen sie haben wir zwar bis jetzt eine
Menge Gesetze erlassen, aber trotzdem noch nichts erreicht.«
Sobald der Kardinal das gesagt hatte – dasselbe, worüber sich alle
verächtlich geäußert hatten, als sie es von mir hörten –, wetteiferte jeder, ihm
das höchste Lob zu spenden, besonders jedoch seinem Vorschlag in betreff
der Landstreicher, weil er den von sich aus hinzugefügt hatte.
Vielleicht wäre es besser, das, was jetzt folgte, gar nicht zu erwähnen – es
war nämlich lächerlich –, aber ich will es doch erzählen; denn es war nicht
übel und gehörte in gewissem Sinne zu unserer Sache. Es stand zufällig ein
Schmarotzer dabei, der offenbar den Narren spielen wollte, sich aber so
schlecht verstellte, daß er mehr einem wirklichen Narren glich, indem er mit
so faden Äußerungen nach Gelächter haschte, daß man häufiger über seine
Person als über seine Worte lachte. Zuweilen jedoch äußerte der Mensch auch
etwas, was nicht ganz so albern war, so daß er das Sprichwort bestätigte:
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book Utopia"
Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik