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Platz.«
»Da haben wir ja«, rief er, »was ich immer sagte: An Fürstenhöfen will
man eben von Philosophie nichts wissen.«
»Gewiß«, erwiderte ich, »es ist wahr: nichts von dieser rein theoretischen
Philosophie, die da meint, jeder beliebige Satz sei überall am Platze. Aber es
gibt ja noch eine andere Art von Philosophie, die die besonderen
Bedingungen ihres Landes und ihrer Zeit besser kennt. Ihr ist die Bühne, auf
der sie zu spielen hat, bekannt, sie paßt sich ihr an und führt ihre Rolle in dem
Stück, das gerade gegeben wird, gefällig und mit Anstand durch. Das ist die
Philosophie, die für dich in Betracht kommt. Wie wäre es übrigens, wenn du
bei der Aufführung einer Komödie des Plautus, gerade während die
Haussklaven untereinander Possen treiben, in der Tracht eines Philosophen
auf der Bühne erschienest und aus der Octavia die Stelle hersagtest, in der
Seneca mit Nero disputiert? Wäre es da nicht besser, du trätest nur als Statist
auf, anstatt Unpassendes zu deklamieren und dadurch eine solche
Tragikomödie vorzuführen? Du würdest ja das Stück, das man gerade spielt,
verderben und über den Haufen werfen, indem du so ganz Verschiedenartiges
durcheinandermengst, selbst wenn das, was du bringst, der wertvollere
Beitrag wäre. Was für ein Stück gerade aufgeführt wird, darin mußt du so gut
wie möglich mitspielen, und du darfst das ganze Stück nicht deshalb in
Unordnung bringen, weil dir ein hübscheres von einem anderen Verfasser in
den Sinn gekommen ist.
So ist es im Staate, so bei den Beratungen der Fürsten. Kann man verkehrte
Meinungen nicht mit der Wurzel ausrotten und kann man Übeln, die sich
durch lange Gewohnheit eingenistet haben, nicht nach seiner innersten
Überzeugung abhelfen, so darf man deshalb doch nicht gleich den Staat im
Stiche lassen und im Sturme das Schiff nicht deshalb preisgeben, weil man
den Winden nicht Einhalt gebieten kann. Man darf auch nicht den Menschen
eine ungewöhnliche und lästige Rede aufdrängen, die, wie man weiß, auf
Leute, die entgegengesetzter Meinung sind, gar keinen Eindruck machen
wird. Man muß es lieber auf einem Umwege versuchen und sich bemühen, an
seinem Teile alles geschickt zu behandeln und, was man nicht zum Guten
wenden kann, wenigstens zu einem möglichst kleinen Übel werden zu lassen.
Denn unmöglich können alle Verhältnisse gut sein, solange nicht alle
Menschen gut sind. Darauf aber werde ich wohl noch manches Jahr warten
müssen.«
»Dieses Verhalten«, meinte er, »hätte nichts anderes zur Folge, als daß ich,
in dem Bestreben, die Raserei anderer zu heilen, selber mit ihnen zu rasen
anfinge. Denn wenn ich die Wahrheit sagen will, so muß ich so reden; ob es
dagegen eines Philosophen würdig ist, die Unwahrheit zu sagen, weiß ich
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Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik