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Die Insel hat 54 Städte, alle geräumig und prächtig, in Sprache, Sitten,
Einrichtungen und Gesetzen einander völlig gleich. Sie sind alle in derselben
Weise angelegt und haben, soweit das bei der Verschiedenheit des Geländes
möglich ist, dasselbe Aussehen. Die geringste Entfernung zwischen ihnen
beträgt 24 Meilen; anderseits wieder ist keine so abgelegen, daß man nicht
von ihr aus eine andere an einem Tage zu Fuß erreichen könnte.
Aus jeder Stadt kommen alljährlich drei erfahrene Greise in Amaurotum
zusammen, um sich über gemeinsame Angelegenheiten der Insel zu beraten.
Diese Stadt wird nämlich als erste und als Hauptstadt betrachtet, weil sie
gleichsam im Herzen des Landes und somit für die Abgeordneten aller
Landesteile bequem liegt.
Ackerland ist den Städten planmäßig zugeteilt, und zwar so, daß einer
jeden nach jeder Richtung hin mindestens 12 Meilen Anbaufläche zur
Verfügung stehen, nach manchen Richtungen hin jedoch noch viel mehr,
nämlich dort, wo die Städte weiter auseinanderliegen. Keine Stadt ist auf
Erweiterung ihres Gebietes bedacht; denn die Einwohner betrachten sich
mehr als seine Bebauer denn als seine Besitzer.
Auf dem flachen Lande haben die Utopier Höfe, die zweckmäßig über die
ganze Anbaufläche verteilt und mit landwirtschaftlichen Geräten versehen
sind; in ihnen wohnen Bürger, die abwechselnd dorthin ziehen. Jeder
ländliche Haushalt zählt an Männern und Frauen mindestens 40 Köpfe, wozu
noch zwei zur Scholle gehörige Knechte kommen. Einem Haushalte stehen
ein Hausvater und eine Hausmutter vor, gesetzte und an Erfahrung reiche
Personen, und an der Spitze von je 30 Familien steht ein Phylarch.
Aus jeder Familie wandern jährlich 20 Personen in die Stadt zurück,
nachdem sie zwei ganze Jahre auf dem Lande zugebracht haben, und werden
durch ebensoviel neue aus der Stadt ersetzt. Diese werden dann von denen,
die schon ein Jahr dort gewesen sind und deshalb größere Erfahrung in der
Landwirtschaft besitzen, angelernt, um ihrerseits wiederum im folgenden
Jahre andere zu unterweisen. Dadurch will man Fehler in der
Getreideversorgung verhüten, die infolge Mangels an Erfahrung gemacht
werden könnten, wenn alle dort zu gleicher Zeit unerfahrene Neulinge wären.
Diese Sitte, mit den Bebauern zu wechseln, ist zwar die gewöhnliche, weil
niemand gegen seinen Willen und nur unter Zwang das mühsamere Leben auf
dem Lande länger ohne Unterbrechung zubringen soll; viele jedoch, denen die
Landwirtschaft von Natur Freude macht, erwirken sich einen Aufenthalt von
mehr Jahren.
Die Ackerbauer bestellen das Land, treiben Viehzucht, beschaffen Holz
und fahren es bei Gelegenheit zu Wasser oder zu Lande nach der Stadt.
Kücken ziehen sie in gewaltiger Menge auf, und zwar mit Hilfe einer
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Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik