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den einzelnen Bezirken einen Überschuß gibt und worin irgendwo der Ertrag
zu gering gewesen ist. Dann gleicht man alsbald den Mangel der einen
Bezirke durch den Überfluß der anderen aus, und zwar geschieht das
unentgeltlich, ohne daß die Geber von den Empfängern eine Entschädigung
erhalten. Dafür aber, daß eine Stadt irgendeiner anderen aus ihren Beständen
ohne Gegenforderung liefert, erhält sie auch wieder, was sie braucht, von
einer Stadt, der sie nichts gegeben hat. So bildet die ganze Insel gleichsam
eine einzige Familie.
Nachdem aber die Utopier sich selbst zur Genüge mit Vorräten versorgt
haben, was nach ihrer Ansicht erst dann der Fall ist, wenn sie wegen der
Unsicherheit des Ertrags im darauffolgenden Jahre für einen Zeitraum von
zwei Jahren vorgesorgt haben, führen sie aus dem Überschuß eine große
Menge Getreide, Honig, Wolle, Leinen, Holz, Scharlach- und Purpurfarben,
Felle, Wachs, Seife, Leder sowie außerdem Vieh in andere Länder aus. Von
dem allen schenken sie ein Siebentel den Armen des betreffenden Landes, den
Rest aber verkaufen sie zu mäßigem Preise. Dieser Handel bringt ihnen nicht
nur diejenigen Waren ins Land, an denen es ihnen fehlt – das ist aber fast
nichts weiter als Eisen –, sondern außerdem eine große Menge Silber und
Gold. Weil sie das schon lange so halten, haben sie an diesen Metallen überall
einen unglaublich großen Überfluß. Daher legen sie jetzt auch nicht
sonderlich viel Gewicht darauf, ob sie gegen bar oder auf Kredit verkaufen
und den bei weitem größten Teil ihrer Forderungen als Außenstände haben.
Doch lehnen sie bei der Ausstellung von Schuldscheinen die Bürgschaft von
Privatpersonen regelmäßig ab und verlangen immer auf Grund formell
ausgestellter Scheine die Bürgschaft der Stadt. Diese zieht dann am Zahltage
den Betrag von den Privatschuldnern ein, legt ihn in die Stadtkasse und hat
bis zu seiner Anforderung durch die Utopier den Zinsgenuß. Diese verlangen
aber niemals den größten Teil zurück; nach ihrer Ansicht ist es nämlich eine
Ungerechtigkeit, anderen etwas wegzunehmen, was für sie von Nutzen ist,
ihnen selbst aber keinen Nutzen bringt. Wenn sie dagegen erforderlichenfalls
einen Teil des betreffenden Geldes einem anderen Volke leihen wollen, so
verlangen sie es dann erst zurück oder auch, wenn sie selbst Krieg führen
müssen. Für diesen einen Zweck nämlich heben sie jenen gesamten Schatz,
den sie im Lande haben, auf, um an ihm in äußerster oder plötzlicher Gefahr
einen Rückhalt zu haben, vor allem aber, um damit für unmäßig hohen Sold
ausländische Soldaten anzuwerben; denn diese setzen sie lieber der Gefahr
aus als ihre eigenen Bürger. Außerdem wissen sie, daß in der Regel die
Feinde selber mit viel Geld sich kaufen und gegeneinander hetzen lassen, sei
es durch Verrat oder auch durch Entzweiung. Aus diesem Grunde sorgen die
Utopier für einen Staatsschatz von unermeßlichem Werte. Er ist aber in ihren
Augen kein eigentlicher Schatz; sie halten es damit vielmehr so, daß ich mich
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book Utopia"
Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik