Page - 87 - in Utopia
Image of the Page - 87 -
Text of the Page - 87 -
wiegeln die Utopier die Nachbarvölker des Feindes auf und verwickeln sie in
einen Krieg mit ihm, indem sie irgendeinen alten Vorwand hervorsuchen,
woran es ja Königen niemals fehlt.
Haben sie diesen Völkern ihren Beistand im Kriege versprochen, so stellen
sie ihnen reichlich Geld zur Verfügung, Hilfskräfte aus den Reihen ihrer
Bürger jedoch nur ganz spärlich; denn diese sind ihnen so außerordentlich
lieb und wert, und sie schätzen sich gegenseitig so hoch, daß sie einen ihrer
Landsleute nur ungern gegen den feindlichen Fürsten austauschen würden.
Gold und Silber dagegen, dessen gesamte Menge sie einzig und allein für
diesen Zweck aufbewahren, geben sie von Herzen gern hin; sie könnten ja
ebenso bequem leben, auch wenn sie es vollständig aufbrauchten. Denn außer
dem Reichtum im Inland besitzen sie ja noch, wie früher erwähnt, bei den
meisten Völkern des Auslands einen unermeßlichen Schatz von Guthaben. So
werben sie denn überall Söldner an, vornehmlich aus dem Volk der Zapoleten,
und lassen sie in den Krieg ziehen.
Diese wohnen 500 Meilen östlich von Utopien. Unkultiviert, roh und wild,
wie sie sind, lassen sie deutlich merken, daß sie inmitten von Wäldern und
rauhen Bergen aufgewachsen sind. Sie sind ein kräftiger Volksstamm,
unempfindlich gegen Hitze, Kälte und Anstrengung, unbekannt mit allen
Annehmlichkeiten des Lebens, nicht begeistert für den Ackerbau, nachlässig
in Wohnung und Kleidung und nur für die Viehzucht interessiert. Zu einem
großen Teile leben sie von Jagd und Raub. Einzig und allein zum Krieg
geboren, suchen die Zapoleten eifrig nach einer Gelegenheit zur Teilnahme an
einem solchen, und finden sie eine, so ergreifen sie sie mit Leidenschaft,
ziehen in großer Zahl außer Landes und bieten sich für wenig Geld dem
ersten besten an, der Soldaten sucht. Dies Handwerk, den Tod zu suchen, ist
das einzige ihres Lebens, das sie verstehen. Für ihren Dienstherrn schlagen sie
sich mit Hingebung und unbestechlicher Treue. Doch verpflichten sie sich
nicht bis zu einem bestimmten Termin, sondern wenn sie Partei ergreifen, so
tun sie das nur unter der Bedingung, daß sie am nächsten Tage auf seiten des
Feindes stehen dürfen, falls dieser ihnen höheren Sold bietet; ebenso kehren
sie dann am übernächsten Tage, durch eine Kleinigkeit Geld mehr verlockt,
wieder zurück. Nur selten kommt es zu einem Kriege, in dem sie nicht zu
einem großen Teile auf beiden Seiten kämpfen. So werden täglich
Blutsverwandte, bisher Söldner der gleichen Partei und einander die besten
Kameraden, bald darauf auseinandergerissen, geraten in feindliche Heere,
treffen als Gegner aufeinander und metzeln sich gegenseitig nieder wie
erbitterte Feinde, die ihre Abstammung vergessen haben und nicht mehr an
ihre frühere Freundschaft denken. Dabei veranlaßt sie kein anderer Grund zur
gegenseitigen Vernichtung, als daß zwei feindliche Fürsten sie für ein paar
lumpige Geldstücke gemietet haben. Dieses Geld berechnen sie sich so genau,
87
back to the
book Utopia"
Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik