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41Kriegsinvalide
– Kriegsbeschädigte
– Kriegsopfer : Benennungen und Definitionen
das zivile Leben wieder fit machen. Gewissermaßen ließ also erst die Tatsache, dass ein
Kriegsinvalide einer Nachbehandlung und Schulung unterzogen wurde, er als in das
Erwerbsleben wieder integrierbar galt, den Begriff der Kriegsbeschädigung auf den
Plan treten. Es war das neue Instrument der Nachbehandlung, das den Kriegsbeschä-
digten als Typus überhaupt erst schuf.
Diese Begriffsverschiebung spiegelt auch einen Paradigmenwechsel wider : Nahm
nämlich ein Wehrpflichtiger im Krieg Schaden an seiner Gesundheit, so war er zwar
kurzfristig invalider Soldat, langfristig jedoch war er vor allem beschädigter Zivilist. Die
Perspektive war eine andere, seit man es in der Armee nicht mehr ausschließlich mit
Berufssoldaten zu tun hatte. Der „Begriff der ‚Invalidität‘ [war]“
– so hielt ein kundiger
Beobachter schon 1915 fest – „im Zeitalter der allgemeinen Wehrpflicht, in welchem
die Mehrzahl der Invaliden aus bürgerlichen Berufen stammt, gänzlich unhaltbar“98
geworden.
Nach dem Ende des Krieges ersetzte die „zivilstaatliche“ Perspektive die militäri-
sche praktisch völlig. Die alte Invalidenversorgung wurde endgültig zur Kriegsbeschä-
digtenfürsorge.99 Und für diesen Perspektivenwandel war es unerheblich, dass Öster-
reich nach dem Staatsvertrag von 1919100 (bis 1936) gar keine allgemeine Wehrpflicht
mehr kannte. Kriegsbeschädigt zu sein, bedeutete im Frieden auch etwas grundsätzlich
Anderes, als es im Krieg bedeutet hatte. Zum einen hatte die Armee nun keinen Be-
darf mehr an Soldaten. Die zuvor vielleicht strengeren – sich jedenfalls immer an der
militärischen Verwendungsfähigkeit orientierenden – Kriterien bei der Beurteilung,
wer als untauglich zu gelten habe, waren nutzlos geworden. Die Bewertung der bür-
gerlichen Erwerbs- und der Arbeitsfähigkeit sowie die Feststellung des Ausmaßes
der Beschädigung im Hinblick auf den Beruf waren nun das Maß der Dinge. Zum
anderen waren Kriegsbeschädigte, deren Zahl – zumindest durch kriegerische Einwir-
kungen – nicht mehr weiter anstieg, nicht mehr die einzigen, die aus der Armee ent-
lassen wurden. Die Demobilisierung machte alle Soldaten zu ehemaligen Soldaten.101
Kriegsbeschädigte waren daher weit mehr durch ihren Gesundheitsschaden definiert
als durch den Status, nicht mehr Soldat zu sein.
Und dieser Gesundheitsschaden, durch den sie sich von den gesunden Kriegsteil-
nehmern unterschieden, verpflichtete den Staat einzugreifen. Er gewährte spezielle
98 Marchet, Die Versorgung, S. 52.
99 „Invalidenversorgung“ vor dem Krieg war – wie ein Zeitgenosse feststellte – angesichts der relativ
geringen Zahl der Versorgungspflichtigen auch noch „keine so schwerwiegende Staatsaufgabe wie die
Kriegsbeschädigtenfürsorge nach dem Weltkriege“ ; Fahringer, Die Kriegsbeschädigtenfürsorge und
ihre Einrichtungen, S. 532.
100 StGBl 1920/303.
101 Berufssoldaten ausgenommen.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918