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Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
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61Unzulänglichkeiten trotz neuer Prinzipien : Die Militärversorgung bei Kriegsbeginn beschriebenen Systems der Invalidenversorgung etwas überspitzt erscheinen, aber es dürfte doch ein zentraler Baustein eines sozialstaatlichen Systems sein, staatliche Leis- tungen jenen zukommen zu lassen, die sich nicht aus eigener Kraft versorgen kön- nen, und das zu leisten war Aufgabe des Militärversorgungsgesetzes. Natürlich ist von diesem System zunächst nur ein relativ kleiner Personenkreis erfasst  – die Zahl der invalid gewordenen bzw. gefallenen Soldaten vor dem Ersten Weltkrieg kann keine sehr große gewesen sein  –, aber es wurde doch ein Prinzip konstituiert, das man etwa folgendermaßen formulieren könnte : Unter bestimmten Umständen übernimmt der Staat Verantwortung für seine Bürger nicht nur nach außen (gegenüber fremden Staa- ten31), sondern auch nach innen (für die Konsequenzen des eigenen staatlichen Han- delns). Das klingt nach nicht sehr viel, ist aber doch etwas Neues. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt von der Absicht geleitet war, den Sozialstaat auf den Weg zu bringen, sondern dass vielmehr ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der bestimmte, noch zu beschreibende Folgeentwicklungen fast zwangsläufig nach sich zog : Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht erzwang  – wenn auch auf Raten  – ein System zur Versorgung jener, die während der Ableistung dieser Pflicht Schäden davon trugen. Und die Etablierung dieses Versorgungssystems öffnete einen winzigen Spalt jener Türe, hinter der ein neuartiges Verhältnis zwischen Staat und Indi- viduum, respektive (männlichem) Staatsbürger, erkennbar wird. Persönliche Abhängig- keiten wurden abgelöst durch legalisierte Pflichten und Rechte, der Staat wurde direktes Visavis und machte sich mittelfristig selbst zum Adressaten für Forderungen. Bereits während des Krieges gestanden allen mit der Frage der Kriegsopferversor- gung beschäftigten Stellen mehr oder weniger verschämt ein, dass das Militärver- sor gungsgesetz von 1875 keineswegs den Anforderungen an eine hinreichende Ver- sorgung invalider Soldaten unter den Bedingungen der allgemeinen Wehrpflicht entsprach. Und sofort nach dem Zerfall der Monarchie wurde es fast ein Gemeinplatz in der Kritik all derer, die mit der Ausarbeitung einer neuen Regelung zur Kriegsop- ferversorgung befasst waren, dass das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in Kraft gewesene Militärversorgungsgesetz nach wie vor auf ein Berufs-, und nicht ein Volks- heer abgestimmt gewesen sei und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht völlig unberücksichtigt gelassen habe. Daraus wird aber deutlich, dass die Weichen für die Etablierung bzw. den Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Prinzipien bereits mit der Ein- führung der Wehrpflicht im Jahr 1868 gelegt worden waren, und dass es letztlich des Ersten Weltkriegs bedurfte, um das allen vor Augen zu führen. 31 Der Schutz der Staatsbürger im Ausland durch Konsulate bestand bereits früher ; Burger, Passwesen und Staatsbürgerschaft, S.  169f.
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Die Wundes des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Die Wundes des Staates
Subtitle
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Authors
Verena Pawlowsky
Harald Wendelin
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2015
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79598-8
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
586
Categories
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