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66 Die Gesetzgebung der Monarchie
sondern es bestand ein Anspruch bis sechs Monate nach Ende des Krieges.45 Dieser
Teil der Verordnung bildete somit eine Regelung zur Versorgung der Angehörigen
kriegsbeschädigter bzw. der Hinterbliebenen gefallener Soldaten. Der Einkommens-
verlust, den deren Invalidität bzw. Tod für die Familie bedeutete, wurde durch die
staatliche Leistung kompensiert.
Da aber die Auszahlung von Unterhaltsbeiträgen nur an die Angehörigen von mo-
bilisierten Reservesoldaten vorgesehen war, wären die Angehörigen jener Soldaten, die
noch ihren Präsenzdienst ableisteten, leer ausgegangen. Und da die Leistung ja nicht
auf den Kriegsbeschädigten selbst, sondern nur auf von diesem finanziell Abhängige
abgestellt war, konnten alleinstehende Soldaten, die als invalid aus der Armee entlas-
sen worden waren, aus diesem Titel naturgemäß ebenfalls keine Ansprüche erwerben.
Daher wurde in der gleichen Verordnung – im § 2 – festgelegt, dass in allen Fäl-
len, in denen, aus welchen Gründen immer, kein Anspruch auf eine Weiterbezahlung
des Unterhaltsbeitrags besteht, den Kriegsbeschädigten bzw. deren Angehörigen oder
Hinterbliebenen eine sogenannte staatliche Unterstützung ausbezahlt werden kann.
Voraussetzung für die Gewährung einer solchen Unterstützung war allerdings, dass der
Anspruchswerber seine Bedürftigkeit nachwies.46
Die Höhe der staatlichen Unterstützung bemaß sich für die Kriegsbeschädigten
nach dem Ausmaß der Schädigung : Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im
früheren Beruf von 20 bis 50 % sollten 60 Kronen pro Jahr ausbezahlt werden, bei
einer Schädigung zwischen 50 und 100 % 120 Kronen und bei vollständiger Arbeits-
unfähigkeit schließlich 180 Kronen. Angehörige konnten
– ebenfalls abhängig von der
Minderung der Erwerbsfähigkeit des Kriegsbeschädigten – maximal 60 Kronen pro
Person erhalten, Hinterbliebene maximal 120 Kronen.47
Den Antrag auf staatliche Unterstützung nach der Verordnung von 1915 musste
der Antragsteller bei der Gemeindevorstehung seines Aufenthaltsortes einbringen.48
Mit dieser Festlegung wurde erneut unterstrichen, dass die Kriegsbeschädigtenfür-
sorge im Gegensatz zu allen bis dahin bekannten Fürsorgeleistungen nicht mehr auf
dem Heimatrecht beruhte, sondern sich aus der Staatsbürgerschaft ableitete und eine
Angelegenheit darstellte, die zwischen Staat und Bürger abgewickelt wurde. Wenn hier
trotzdem auf die Gemeinden zurückgegriffen wurde, so fungierten sie doch nur noch
45 RGBl 1915/161, §§ 1 und 3. In Ungarn wurde, nachdem es offenbar langwierige Verhandlungen zwi-
schen den beiden Teilen der Monarchie gegeben hatte, eine vergleichbare Regelung getroffen ; Marchet,
Die Versorgung, S. 11.
46 RGBl 1915/161, § 2.
47 RGBl 1915/162, § 2 A. Mit dieser Verordnung wurden die Details der neuen Regelung festgelegt.
48 Ebd., § 4.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918